Umzug und Elektro-Smog
: Gnadenlos elektrisch

■ 81 Steckdosen auf 60 Quadratmetern, das ist historischer Rekord, oder?

Die Bewohner unseres Nachbarhauses sind hilfsbereite Menschen. Freunde gar. In ihrem Keller steht unser ausrangiertes Sofa. „Da unten geht sowieseo niemand rein“, hatte Michaela gesagt, als wir um Sofa-Asyl baten. Weil: Biss-chen gefährlich. So viele offene Stromleitungen, die da rumliegen. Starkstrom, sagt sie. Bei der Ortsbesichtigung war Michaela nervös, sobald man sich dem qualligen Kabelwust auf drei Meter näherte. Unser Sofa stört das nicht.

Diese Nachbarn sind umgezogen. Innerhalb des Hauses, vom Erdgeschoss in den ersten Stock. Nachdem die Möbel aus dem Erdgeschoss nach oben transportiert waren, war die Sicht frei auf die rustikale Holzvertäfelung der Wände. „Ganz schön viele Steckdosen hattet ihr hier“, wurde gestaunt: 12 Stück allein in den vielleicht 14 Quadratmetern Wohnzimmer. „Das ist noch gar nichts“, triumphierte Sönke auf, die typische Gitanes lässig im Mundwinkel. Mit einer weitausholenden Geste zeigte er sein altes Reich, wies auf verborgene Ecken und abgenabelte, also nicht mehr mitzuzählende Kabelstränge hin. Erstmals wendete er sich der Steckdosen-Empirie zu, und das mit Verve und Engagement. „64“ schloss er zufrieden nach einem Rundgang durch die zwei Zimmer, Küche, Bad. „64 Steckdosen auf 55 Quadratmetern“. Die querverzweigten Lichtschalter, auch davon gab es mehr als eine Menge, ließen wir aussen vor, weil wir nicht durcheinander kommen wolten. Ausserdem hatte Sönke die „praktisch“ gefunden, weil man von überall aus die Lichter ausschalten konnte. Und an. Und aus. Guck mal, von hier aus da hinten an der Fensterbank. Auf dem Hochbett ein Schalter für den Flur. Und an. Und aus.

Von dem Erfolg angestachelt, wollten wir es wissen: Die Wohnung oben hatte ein Zimmer und damit auch ein paar Quadratmeter mehr.

Oben standen die Möbel schon an ihren Orten, aber wir hatten ernsthaft Feuer gefangen. Die Frauen unterhielten sich in der neuen Küche über Trivialitäten, während wir zur Tat schritten. Wir bestiegen Betten, schoben Schränke, kippten Spiegel, klappten Teppiche, rückten Kommoden. 14 in der Küche (die Frauen schauten mitleidsvoll). 31 im Wohnzimmer. 24 im Schlafzimmer. Nur fünf im Badezimmer. Vier - nein sechs im Flur. Eine auf dem Balkon. Es war wirklich so: Ein Schritt an der Wand war eine Steckdose. Ein Steckdosenschritt. Ein Dosensteckschritt. Ein Schrittdosensteck. Wir ließen uns gehen. Häufiger noch: eine Doppelsteckdose. Doppeldosensteck. Steckdosendoppel. Und an manchen Stellen, wohl zur Sicherheit, ein Dreier in der Wand. 81 Steckdosen auf 60 Quadratmetern. Ich fühlte mich von Elektrosmog wohlig durchdrungen.

Verschwitzt, angestaubt und zufrieden blickten wir auf unseren Zettel. Irre. Der Vermieter, irgendwie hatte ich damit gerechnet, war passionierter Elektriker, der alles selbst gemacht hatte. Deshalb auch der Kabelsalat im Keller. Auf wiewenig Miete man so jemanden wohl runter-pressen kann?

Letztens habe ich die beiden besucht. Der Vermieter öffnete die Haustür, ein Staubsauger hinter sich herziehend. Danke. Oben an der Wohnungstür verwechselte ich das Treppenlicht mit der Klingel. Dann das zweite Treppenlicht. Und auch das dritte. Das ging so – ungelogen – bis Nummer acht. Im Dunkeln wurde mir klar: Eine Klingel gab es nicht. Ich klopfte. Christoph Dowe