Workshop: Blauäugig rassistisch

■ Rassismus verlernen, das will der Workshop mit dem Konzept „Eye-to-Eye“ von Jane Elliot vermitteln / Zwei Bremer Schulklassen machten jetzt mit

Ein Blick in die Augen genügt, und Jürgen Schlicher trennt die Spreu vom Weizen – trennt 37 Schüler auf in intelligent und dumm. Ganz einfach und schnell nach Augenfarbe. Braunäugige werden zuvorkommend weitergewunken. Bei Nicole hört Schlichers Freundlichkeit plötzlich auf: Sie hat blaue Augen, und auch sonst macht die Schülerin einfach alles falsch.

Noch weiß Nicole gar nicht wie und was mit ihr geschieht. Einen Anti-Rassismus-Workshop macht sie mit – soviel war klar. Aber jetzt sitzt sie ganz eingeschüchtert in der Ecke, ein grüner Kragen wird ihr um den Hals geheftet. „Lächel mich nicht an, ich mag das nicht“, weist Schlicher jede Haltsuche rigoros zurück. Und ab gehts für Nicole durch die Hintertür.

Karin hat Glück. Im wirklichen Leben wird die 15-Jährige wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert. Heute gehört sie zu den Priviligierten: Zu den Braunäugigen. Denn die sind viel intelligenter, sagt Schlicher: „Die Sonneneinstrahlung hat den Blauäugigen das Gehirn verbrannt.“

Diese Theorie nimmt Schlicher natürlich keiner ab. Trotzdem schafft der Trainer es an diesem Morgen zwei Bremer Schulklassen, Vorurteile einzubimsen, die bislang keiner kannte: Blauäugige sind faul und langsam. Sie sind dumm und stehlen auch noch. Und er schafft es, dass sich die Vorurteile später bestätigen werden. „Ein Teufelskreis“, sagt Schlicher: „So erschreckend schnell funktioniert Rassismus.“

Schlichers Programm im Schnürschuh-Theater gehört zur „Blue-Eye/Brown-Eyed“-Übung, die Jane Elliott vor gut 30 Jahren in Amerika entwickelt hat. In Deutschland ist Schlicher der einzige Trainer, der meist für Schulklassen die subtilen Strukturen des Rassismus meist durchexerziert.

Das ganze funktioniert nach striktem Drehbuch: Schlicher ist der Herrscher der konstruierten Augenwelt. Der Machtmensch, der sagt, was die Blauäuigen zu tun haben. Derjenige, der die Regeln bestimmt und sie willkürlich wieder ändern kann.

„Wer welche Augenfarbe hat, bestimme letztlich immer noch ich“, sagt Schlicher. So lenkt er die Teilnehmer gezielt in den Gruppen: „Wer sonst draufhaut, kommt hier zu den Blauäugigen und soll die Erfahrung machen, wie es ist ,diskriminiert zu werden.“

Den Blauäugigen wird schnell klar, dass sie an diesem Morgen nichts zu lachen haben: Ein kleiner Raum, zwei Stühle für gut ein Dutzend „Blauäugiger“. Permanente Kontrollgänge von Schlichers Co-Trainerinnen. „Irgendwann gucken die nicht mal mehr hoch“, sagt Kerstin Sischka. Und wer aufmuckst wird gleich isoliert. Das ging auch Karola so, Lehrerin, die erstmal Widerstand leisten wollte und dann zwei Stunden auf die Wand starren konnte.

Drüben auf der Bühne im Schnürschuh-Theater solidarisiert sich Schlicher derweil mit den Braunäugigen. „Damit das funktioniert brauche ich Eure Hilfe“, sagt er. Blauäugige nicht anschauen ist die Devise. Nicht mit ihnen lachen, „außer über sie lachen“. Keine Unterstützung. Sonst werden die Braunäugigen zu Blauäugigen degradiert. Auch das kommt vor. Julia und Gideon müssen gehen, sie wollen beim Rassismus nicht mitmachen. Dann sollen sie ihn erdulden, ist Schlichers Devise.

„Wir behandeln Blauäugige genauso, wie wir normalerweise in unserer Gesellschaft Minderheiten behandeln“, sagt der Trainer. An der Wand stehen altbekannte Rassisten-Sprüche, die auf die Augenfarbe gemünzt sind: „Ich habe keine Vorurteile, einige meiner besten Freunde sind Blauäugige.“

Als die Blauäugigen reinkommen, geht es los. Nach Schlichers Regeln können „Blueyes“ nichts richtig machen. Und prompt multiplizieren sich bei ihnen die Fehler. Jeder Versprecher, jede Schwäche wird sofort hochgenommen. Tatsächlich dauert alles viel länger, tatsächlich schneiden Braunäugige besser ab im Test. Schlichers geschürte Vorurteile scheinen sich zu bestätigen.

„Am Anfang konnte ich mir nicht vorstellen, die runterzumachen“, sagt die Schülerin Neslie. Aber durch den Gruppenzwang machten alle mit. „Die schweigende Mehrheit ist das Problem“, sagt Schlicher: „Wer schweigt, stimmt zu.“

Die Blauäugigen sind nicht begeistert. „Ich fühlte mich total abgestempelt“, sagt Lena. „Der Willkür anderer ausgeliefert“, berichtet auch die Lehrerin Anna. Auf die Braunäugigen wirkten ihr bockiges Verhalten dagegen völlig hilflos – „wie Kinder.“ Gelernt haben sie viel, erzählen die Schülerinnen bei der Auswertung: „Das ist ein Augenöffner.“

Nach fünf Stunden praktiziertem Rassismus ist Schlicher und Mitarbeiterin froh, dass es vorbei ist: „Endlich kann ich wieder lachen“, sagt Co-Trainerin Anna Heine. „Spaß macht das Ganze nicht“, gibt Schlicher zu. Denn in der Welt „da draußen“ geht es ja weiter. Da kann man nicht nach fünf Stunden aufhören.

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Seit zwei Jahren gibt es die Blue-Eyed-Brown-Eyed Übung auch in Deutschland. 1968 hatte die Lehrerin Jane Elliott sie „erfunden“, um ihren allesamt weißen Kindern, den Tod von Martin Luther King zu erklären. Das weiße, christliche 1.000-Seelendorf Riceville in Iowa war nach dem eigenen Selbstverständnis frei von jedem Rasssismus.