Im Bett mit Deleuze

Konvergenz der Sinne: Das Elektronik-Label Mille Plateaux lud zu Pop und Philosophie in die Volksbühne ein. Dort ließ dann aber der tolle Auftritt von Super Collider alle graue Theorie wieder vergessen  ■   Von Sebastian Handke

Pop und Philosophie haben seit einiger Zeit eine Liaison miteinander. Das Buch „Mille Plateaux“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari ist dabei besonders attraktiv. In die Poptheorie fanden ihre Denkfiguren Eingang: die des „Rhizoms“ und die des „Plateaus“.

Als Rhizom bezeichnet die Botanik einen Wurzeltyp, dessen oberirdische Zweige wieder abwärts wachsen und neue Wurzeln bilden. Das Rhizom ist als dezentrale und nichthierarchische Netzstruktur ein Gegenmodell zum Baum, der das klassische europäische Denken in Kategorien wie Einheit, Ursprung und Subjekt symbolisieren soll. Wer vom Rhizom spricht, kann sich seiner Zeitgemäßheit also sehr sicher sein. Wenn es dann keine über-, unter und nachgeordneten Zweige mehr gibt, entstehen flache, ausfransende Felder, bestehend aus ständig wandelbaren und sich verknüpfenden Plateaus. Für das Denken bedeutet dieses Modell eine Aufweichung strenger Grenzziehungen.

Was könnte diese Bio- und Geometaphorik für Pop bedeuten? Der Musikkritiker Eduard Hanslick bezeichnete Musik als „tönend bewegte Formen“. Eine Definition, die unterschlug, dass diese Bewegung eine Richtung hat, eine Finalität. Auch für Deleuze geht es darum, sich mit der Bewegung zu vermählen: „epouser le mouvement!“. Aber er hat eine andere Art zu Reisen im Sinn: „von der Mitte ausgehend; eher gehen und kommen als aufbrechen und ankommen“. In der Baum-Musik wird jedes „Werk“ unter das Diktat einer Einheit gestellt: einer Einheit des Ursprungs, des Sinns oder vor allem des Ausdrucks eines schöpfenden Subjektes. Das Wuchern des Rhizoms dagegen kennt keine Einheit. Und schließlich werden im klassischen Werk Finalität und Einheit eingebunden in einen fixen Kanon der Formen, die Deleuze als „Kopien“ bezeichnen würde.

Anstatt Abziehbilder zu produzieren, soll man das Mannigfaltige „kartographieren“. Das Anlegen von Karten kann ganz verschieden geschehen. Aber ob Kunst oder Wissenschaft, die Äußerungen über das Mannigfaltige müssen die Vielheit zugleich ausführen: „Das Mannigfaltige muss gemacht werden!“ Auf den Spielwiesen der elektronischen Musik steht man nun also im Verdacht, solche Kartographierungen anzufertigen.

So hatte am Donnerstag die Volksbühne zur „Mille Plateaux Tour“ geladen: eine wieder einmal das ganze Haus umfassende Konvergenz der Sinne. Die Techno-Varianten von Porter Ricks oder SND standen stellvertretend für eine elektronische Musik, die sowohl im Musikalischen wie im Herstellungsprozess selbst eine Auflösung festgefügter Strukturen und Bedeutungen betreibt. Mouse on Mars waren zwar nicht da, doch der Titel einer ihrer EPs, „pickly dred rhizzoms“, spricht dafür, dass nicht immer Theorie mit Gewalt in den Club getragen wird. Doch es geht nicht nur um ästhetische Theorie. Da die Bücher von Deleuze und Guattari oft als Arbeit an einer allgemeinen Widerstandstheorie interpretiert werden, versteht man „Mille Plateaux“ als Anleitung zu oppositioneller Mikropolitik in subkulturellen Strömungen.

Mit dem unvermeidlichen Diedrich Diederichsen trafen sich also die Musiker und politischen Aktivisten Terre Thaemlitz und Dont Rhine zum behaglichen Sit-In in einem überdimensionalen Bett auf der großen Bühne und plauderten über Musik und Politik.

Für den Queer-Media-Artist Thaemlitz entspricht die digitale Synthesis elektronischer Musik seiner Praxis des Transgender. In seinem Liveset „Love for Sale“ versuchte er in Auseinandersetzung mit der Kommerzialisierung von Gay culture einen kritikfähigen „queer sound“ zu konstruieren. Zu hören war aber eine schöne Ambient-Collage aus Wohlklang und elektronischen und industriellen Störgeräuschen, die nur anfangs durch Samples von der Gay-Pride-Berichterstattung an den politischen Kontext erinnerte: Die abstrakte Musik von Thaemlitz tut sich schwer im direkten politischen Wirken. Und wie oft in der Volksbühne war es dann der sensationelle Auftritt von Super Collider, der am Morgen alle Theorie vergessen ließ.