Politologe Bodo Zeuner verlässt die Grünen

■ Nach 18-jähriger Mitgliedschaft tritt der 68er wegen des neoliberalen Kurses aus

Mit den Grünen verband sich für Bodo Zeuner einmal „ein neuer Aufbruch mit sozialistischen Perspektiven“. Das war 1981. Damals trat der Politologieprofessor und 68er in die Alternative Liste (AL) ein. Doch die Grünen, die einst „für die Interessen der real existierenden Verlierer“ eintraten, so Zeuner, profilierten sich heutzutage als „neoliberale Avantgarde“. Aus Enttäuschung über den Kurs der rot-grünen Bundesregierung kehrt Zeuner den Grünen nach 18-jähriger Mitgliedschaft den Rücken.

Seinen Austritt begründete der 57-Jährige gestern mit dem völkerrechtswidrigen Kosovo-Einsatz der Nato und der grünen Zustimmung zum Sparpaket von Finanzminister Eichel. Gegen die soziale Unausgewogenheit des Sparpaketes sei „keine einzige grüne Proteststimme aus Regierung oder Fraktion“ zu vernehmen gewesen, kritisierte Zeuner.

Den letzten Anstoß zum Austritt gab vor drei Wochen das Schweigen der Grünen zur Frage der Entschädigung von Zwangsarbeitern aus der NS-Zeit. Die vier bis sechs Milliarden Mark, die Bundesregierung und die Industrie für einen Entschädigungsfonds bereitstellen wollen, nennt Zeuner eine „unsäglich schäbige Summe“. „Wo blieb der Aufschrei der Bürger- und Menschenrechtspartei Bündnis 90/Die Grünen?“ Für Zeuner war das Maß voll.

Nur eine letzte Rücksichtnahme noch: das Austrittsschreiben sandte er erst nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus ab. „Ich wollte meiner alten AL, die für die bundespolitische Misere noch am wenigsten verantwortlich ist, nicht durch einen öffentlichen Austritt schaden.“

Zeuner ist nicht das einzige Westberliner Urgestein, das die Grünen verlassen hat. Etwa ein Drittel der 122 Mitglieder, die die Grünen in diesem Jahr aus politischen Gründen verlassen haben, traten in den frühen 80er Jahren ein. Das sind rund 40 Personen. Landesvorstandssprecher Andreas Schulze wertete diese Austritte als „Zeichen für Entfremdungsprozesse, die oft über einen längeren Zeitraum laufen“. Es gebe aber keine Anzeichen dafür, dass sich verstärkt Gründungsmitglieder abwendeten. Er stellte vielmehr eine divergierende Erwartungshaltung an die Grünen fest: „Die einen sagen, wir sind nicht mehr links genug, die anderen finden, wir sind noch nicht neoliberal genug.“

Zeuner jedenfalls hat die Hoffnung verloren, dass linke Positionen bei den Grünen wieder gestärkt werden könnten. „Die schnelle Internalisierung der Regierungsbeteiligung als Selbstzweck hat mich überrascht“, sagte er gegenüber der taz. Es sei schnell klar geworden, dass der Koalitionsvertrag nichts wert sei, sondern das Machtwort des Kanzlers zähle. Der inhaltliche Ertrag einer grünen Regierungsbeteiligung sei „unvorhersehbar“ geworden.

Zeuner rät den Grünen, zu definieren, wann das Ende der Fahnenstange erreicht und es besser sei, die Koalition zu verlassen. „Sie sollten keine Angst davor haben, dass die Regierung scheitert.“ Denn möglicherweise werde sie ohnehin scheitern – ohne dass dies an den Grünen läge. Dorothee Winden