Das Exil-Königreich der Tiere

■  Auf der philippinischen Insel Calauit, 10.000 Kilometer fern der afrikanischen Heimat, leben Giraffen, Zebras und Antilopen. Was als Privatzoo von Präsident Marcos begann, ist heute ein – wenn auch bedrohtes – Tierparadies

Die beiden bis an die Zähne bewaffneten Soldaten sind stets im Einsatz – für die Tiere

Stellen Sie sich vor, Sie segeln durch südostasiatische Gewässer und erblicken auf einer Insel leibhaftige Giraffen, die den Palmenstrand entlangstaksen! Doch, Sie haben Brehms Tierleben noch gut in Erinnerung, auch im Naturkundeunterricht aufgepasst, und Ihr Kompass ist durchaus zuverlässig.

Aber in der Tat: Hier, auf der philippinischen Insel Calauit, über 10.000 Kilometer von Ostafrika, ihrer eigentlichen Heimat, entfernt, ziehen nicht nur etliche Netzgiraffen, sondern auch Zebras, Impala-Antilopen, Spring- und Wasserböcke unter Kokospalmen und Bambusstauden umher. In freier Wildbahn, die im hügeligen Inselinnern mit weiten Grasflächen, Buschwerk und hohen Akazienbäumen dem afrikanischen Bild sogar ähnelt.

Doch so ungezwungen ist das Leben der ausländischen Tiere unter fernöstlichem Himmel nicht. Die beiden bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, die uns im Auslegerboot auf die Insel im Norden des philippinischen Calamianen-Archipels begleiten, sind im Einsatz für die Tiere. Zum Schutz vor den Menschen, die vor Ankunft der fremdartigen Vierbeiner hier lebten und sich ihr Land notfalls mit Gewalt zurückholen wollen.

Die Strandgiraffen haben sich nach unserer Landung ins Bambusdickicht zurückgezogen. „Sie sind scheuer geworden, seit Wilderer ihnen nachstellen“, erklärt Juan Gapuz, der uns als Projektleiter des Calauit Wildlife Sanctuary begrüßt.

Vor einigen Jahren ist die 3.700 Hektar große Insel rund 300 Kilometer südwestlich von Manila aus ihrer paradiesischen Isolation gerissen worden. Bis 1986, als der Diktator Marcos die Philippinen verlassen musste, wurde Calauit als Privatbesitz des Präsidentenclans abgeschirmt. Als „Marcos-Zoo“ für handverlesene Gäste oder Safari-Park seines jagdbegeisterten Sohnes Bongbong war sie, wenn überhaupt, der Öffentlichkeit bekannt. Doch was es mit den afrikanischen Tieren im Südchinesischen Meer wirklich auf sich hat, erfuhr man erst, nachdem Ferdinand Marcos und seine Familie ins Exil nach Hawaii geflohen waren.

Auf einem klapprigen Traktor schaukeln wir über einen ausgewaschenen Feldweg durch Calauit. Grasende Zebras beäugen uns, flinke Antilopen wechseln über die Piste. Juan erzählt die Geschichte von Calauit, wie er sie miterlebt hat.

1976, anlässlich der Wildlife Conservation Conference von Nairobi, hatten die Kollegen Yomo Kenyatta, Präsident von Kenia, und Ferdinand Marcos vereinbart, einige der durch Wilderei und Krieg bedrohten Savannentiere auf den Philippinen anzusiedeln. Unter den 7.107 Inseln des Archipels schien Calauit besonders geeignet zu sein. Aber erst mussten die damals ansässigen 256 Familien auf die südlichere Insel Culion umgesiedelt werden.

Mit Entschädigungen hatte Marcos nicht gegeizt: Schulen, Krankenversorgung, Land und großzügige Starthilfen erhielten die Vertriebenen aus der Staatskasse. Calauits neue Bewohner, die anfangs 104 afrikanischen Tiere, gewöhnten sich trotz erster Verluste durch Transport und Umstellung bald an ihr Asyl. Nach 20 Jahren haben sie sich auf über 600 Stück vermehrt, zur großen Überraschung von Projektgegnern und -befürwortern. Erst hatte man eigens aus Australien Spezialfutter eingeführt. Jetzt ist die Vegetation von Calauit einzige Diät der Vierbeiner.

Nicht nur afrikanisches Wild lebt auf Calauit. Schon Ende der 70er-Jahre wurde das Eiland auch für die bedrohte philippinische Fauna geöffnet. 35 Calamianen-Hirsche wurden von Palawan, der Hauptinsel der Provinz, nach Calauit übersiedelt. Mit Erfolg. Die Zahl der Tiere konnte auf 600 gesteigert werden. Der ebenfalls endemische, durch Jagd fast ausgerottete „Maushirsch“ erlebte auf Calauit eine hoffnungsvolle Vermehrung. Von zuerst sieben der hasengroßen Tierchen, Vertreter der Welt kleinster Rotwildart, stammen nun immerhin 70 „Maushirsche“ ab. Gerade ihre Wiederaufzucht soll den Menschen nützen. Ist eine überlebensfähige Anzahl dieser Jagdtiere erreicht, planen die Naturschützer sie in den Wäldern von Palawan auszusetzen. Dort leben acht Ethnien, zum Teil Nachkommen der Ureinwohner. Wie die Tagbanua, Pala'wan und Batak-Negritos, die seit Menschengedenken das heimische Wild als wertvolle Fleischquelle mit Pfeil und Bogen jagen. Erst die Holzfäller und Tieflandbewohner drängten die Waldbewohner an den Rand der Ausrottung.

Der Palawan-Pfauenfasan, die Grüne Königstaube, die Palawan-Bärenkatze, eine Marderart, das Palawan-Stachelschwein, Gürteltier und Krokodil – sie alle fanden auf Calauit eine letzte Zuflucht. Auch Meerestiere, für die eine 20.000 ha große Schutzzone rund um Calauit bewacht wird, zählen zu dem Projekt: die Tridacna-Riesenmuschel, die wenigen hier noch existierenden Dugong (Seekühe), die Grüne und die Hawksbill-Seeschildkröten, von denen bereits an die 7.000 Tiere gezüchtet und schließlich wieder in ein Leben in Freiheit entlassen werden konnten.

Um auch hierbei die Bewohner der benachbarten Dörfer und Inseln am Projekt profitieren zu lassen, verteilte man verschiedene Muschelarten zur kommerziellen Aufzucht. Dadurch sollten sie nach und nach das Interesse am Fischen mit Dynamit verlieren. Tatsächlich konnten Juan und seine Kollegen beobachten, dass sich ein ansehnlicher Teil der Korallenriffe und Mangrovenküsten zu erholen begann.

Mit lautem Krachen bricht eine Giraffenfamilie urplötzlich aus dem Gebüsch. Breitbeinig stehen die Tiere vor dem Traktor. Der Fahrer geht auf sie zu und lockt die Langhälse mit saftig grünen Blättern näher. „Jacko“, so haben die Wildschützer den Bullen getauft, wittert Freunde. Vorsichtig reißt er mit kräftiger Zunge an den Zweigen, und noch zaghafter trauen sich Kuh und Kalb heran. Die Kameras klicken, dabei bemerke ich am Hinterlauf von „Jacko“ eine tiefe, lange Wunde unter blauer Tinktur. „Seine Zutraulichkeit ist ihm fast zum Verhängnis geworden“, berichtet Juan Gapuz. „Vor einigen Tagen hatte er sich im Gemüsefeld eines illegalen Siedlers umgesehen. Dieser verjagte die Giraffe nicht nur, sondern verletzte sie mit dem bolo, dem langen Haumesser.“ Bei einer früheren Attacke waren einem der Langhälse die Fesseln durchtrennt worden, das Tier musste getötet werden.

Das sind nur zwei blutige Vorfälle in dem jahrelangen, ungleichen Kampf um Lebensraum, den die 64 Angestellten der CRMF (Conservation and Resource Management Foundation) eher machtlos beobachten müssen. Des öfteren sind Calamianen-Hirsche gewildert, Schildkröten gefangen worden. Deren Fleisch und Eier werden auf den Märkten der Nachbarinseln verkauft wie auch erbeutete Seekühe.

Die Angriffe auf die Giraffen aber zeigten deutlich, dass die militanten Siedler „ihr“ Land nicht gewaltlos an die in ihren Augen zu Unrecht auf Calauit lebenden „Exoten-Tiere“ abtreten wollen. Etwa 600 Rücksiedler hielten zeitweise rund um die Insel Strandgelände besetzt. Sie brannten Grasland im Innern nieder, um es zu bebauen. In den Saumriffen detonierten wieder die Dynamitbomben der Fischer. Die trotz Geld- und Personalmangel hoch motivierten Wildschützer riefen die Obrigkeit wiederholt um Hilfe.

Die scheint erst jetzt ernsthaft an eine für alle Parteien befriedigende Lösung zu denken. Unter der bis 1992 amtierenden Aquino-Regierung hat zwar das von Bürokratie und Korruption durchfilzte Ministerium für Umwelt und Naturressourcen mit minimalem Aufwand das Calauit-Projekt finanziert und ein paar Schutzsoldaten abkommandiert. Lukrative und von den Calauit-Schützern begrüßte Angebote von asiatischen Nachbarländern, afrikanisches Wild von Calauit für ihre Tierparks zu kaufen, wurden aber nicht wahrgenommen.

Ob die anvisierte Übergabe des Calauit-Parks an die Kontrolle regionaler Behörden den Frieden auf der Giraffeninsel wiederherstellen kann, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall bedroht die Wilderei nicht nur eine reizvolle Touristenattraktion, sondern vor allem ein Naturschutzgebiet, das die durch Überbevölkerung und Umweltfrevel dezimierte philippinische Tierwelt bitter nötig hat. Verhandlungswillige Siedler der Balik Calauit Movement (Rückkehr-nach-Calauit-Bewegung) versprechen Einsicht, wollen selbst gegen Wilddiebe vorgehen und mit den Tieren zusammenleben.

Natürlich verlangt das Reservat nach ausreichender Finanzhilfe, um die Koexistenzbereitschaft der Menschen abzusichern. Besucher, für die die „Giraffeninsel“ zuvor wegen der gewalttätigen Landstreitigkeiten öfter gesperrt war, können weiterhin nur in kleinen Gruppen zugelassen werden. Wenn die Eintrittsgebühren von derzeit circa 20 Mark nicht mehr vorwiegend in privaten Taschen verschwinden, dann – eine vage Hoffnung – könnte Calauit eine Trauminsel in Sachen Ökotourismus werden.

Davon will Juan Gapuz uns einen Vorgeschmack mit auf den Weg geben. Aus dem eingezäunten Schutzbecken greift er sich nacheinander drei der mit Futter angelockten Grünen Seeschildkröten. „Für die ist der große Augenblick gekommen, die Wildnis ruft“, lacht er. Eine trägt er selbst zum Ufer, den beiden anderen der ängstlich strampelnden Panzertiere dürfen wir die wirkliche, aber unsichere Freiheit schenken. Wir setzen sie vorsichtig ins seichte Wasser, und schon rudern sie davon. Hinaus in die Weite des Südchinesischen Meeres.

Reiseinfos:

Anreise: Täglicher Flug (ca. 1 Std.) mit Pacific Airways und/oder Air Ads von Manila nach Coron (Town) auf der Calamianen-Hauptinsel Busuanga. Von dort verkehren Auslegerboote in Charter und unregelmäßige öffentliche Boote nach Calauit. Über Land per Jeepney oder kleinem Bus ab Coron bis Busuanga (Town), von dort Auslegerboot nach Calauit. Mehrmals wöchentlich auch Schiffsverbindungen zw. Manila und Coron (ca. 26 Std.).

Einreise: Touristenvisum bis 21 Tage bei Ankunft und mindestens 6 Monate gültigem Reisepass. Touristenvisum bis 59 Tage Gültigkeit (im Land verlängerbar) erteilen gegen Gebühr Botschaften und Konsulate der Philippinen.

Unterkunft: Im „Las Hamacas Resort“ bei Busuanga (Ort), das auch Bootsausflüge nach Calauit organisiert, kann man für circa DM 150/Tag im DZ inkl. Vollpension unterkommen. Mehrere günstige, komfortable Pensionen, Resorts in Coron Town (z. B. Kokosnuss Resort, Sea Breeze Lodge, zw. DM 10 und DM 30/DZ). Sehr luxuriös und abgeschirmt wohnt man im „Club Paradise“ auf dem nordöstl. vorgelagerten Eiland Dimakya, wo der Bungalow inklusive Vollpension für ca. DM 200 am Tag zu buchen ist.

Klima: Meeresklima, das besonders in den Monaten Januar bis April angenehm ist. Mitunter weht in dieser Zeit der Nordostmonsun recht kräftig.

Gesundheit: Impfungen nur vorgeschrieben bei Einreise aus Epidemiegebieten. Empfehlenswert: Hepatitis-, Polio-, Tetanusvorsorge bzw. -auffrischung. Die Region Palawan ist Malariagebiet, entsprechende Prophylaxe ist ratsam.

Albrecht G. Schaefer