Der Volkstribun als Wahlkampfmotor

Rechtspopulist Blocher und seine SVP liegen bei den morgigen Schweizer Wahlen laut Umfragen erstmals auf Platz zwei. Die restlichen Parteien suchen in wichtigen Fragen einen Konsens gegen Rechts    ■ Aus Bern Markus Rohner

Die Schweiz wählt ein neues Parlament – und fast keiner im Volk merkt es. Wären da nicht der rechtspopulistische Volkstribun Christoph Blocher und seine im Aufwind liegende Schweizerische Volkspartei (SVP), die Wahlen in der Eidgenossenschaft würden am Wochenende die Gemüter kalt lassen. Doch dann sorgte der Rechtspopulist Blocher eine Woche vor dem Wahlgang doch noch für Schlagzeilen. Das Boulevardblatt Sonntagsblick wärmte eine zwei Jahre alte Geschichte neu auf und präsentierte einer erstaunten Schweizer Bevölkerung einen Brief von Christoph Blocher, in dem er sich wohlwollend über ein Buch des notorischen Holocaust-Leugners Jürgen Graf äußert. Die Reaktionen blieben nicht aus. Die Sozialdemokraten, die Christdemokraten und die Liberalen (in der Schweiz die Freisinnigen) hatten endlich ein Thema gefunden, um sich auf den Erzfeind von rechts einzuschießen. Ob das in den letzten Tagen viele potentielle SVP-Wählerinnen und Wähler umgestimmt hat, ist fraglich.

Blocher bringen solche Attakken schon lange nicht mehr aus der Fassung. Der 59-jährige Politiker aus dem Kanton Zürich und mehrfache Multimilliardär weiß zu genau, wie hoch sein Stellenwert bei rund einem Fünftel der Schweizer Bevölkerung ist. „Jeder Angriff auf Blocher mobilisiert die interne Stammwählerschaft“, ist der Berner Politologe Claude Longchamp überzeugt, „für die bleibt Blocher der ungekrönte König“. Wo immer der rechte Populist auftritt, attakkiert er die EU, den Steuerstaat und die Bürokratie. Gleichzeitig profiliert sich als der Verteidiger der ewigwährenden Neutralität und der Unabhängigkeit des Alpenstaates. Der Applaus in wachsenden Teilen der Schweizer Bevölkerung ist ihm dafür gewiss.

Bei den Morgen stattfindenden eidgenössischen Wahlen, davon gehen die Prognosen aus, könnte Blochers SVP mit einem Wähleranteil von rund 20 Prozent hinter der SP (23 bis 24 Prozent) erstmals zur zweitstärksten politischen Kraft des Landes aufsteigen. Die liberale FDP, seit Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848 die stärkste bürgerliche Kraft, dürfte auf Platz drei zurückfallen, derweil die christlichdemokratische CVP aller Voraussicht nach noch mehr einbüßen wird.

Die starken Gewinne der SVP gehen nicht nur auf Kosten der bisherigen Großparteien, auch kleine Rechtsparteien wie die Schweizer Demokraten und die Autopartei müssen zugunsten von Blocher Haare lassen. Die Saat geht langsam auf. Anders als Österreichs Jörg Haider hat sich Christoph Blocher von Antisemitismus und Rechtsradikalismus immer wieder distanziert. Mit seiner Politik der Ausgrenzung und des Chauvinismus allerdings zieht der nationalkonservative Volkstribun – gewollt oder ungewollt – rechtsextreme Kreise in seinen Bann. Seit Jahr und Tag etikettiert Blocher die Mitglieder von Regierung und Parlament als „Classe politique“ und benutzt damit eine Lieblingsformel antidemokratischen Denkens.

Es war der gleiche Blocher, welcher vor zwei Jahren inmitten der Debatte um das Nazigold den Begriff der jüdischen „Erpressung“ in der Schweiz salonfähig gemacht hat. Kein Wunder, wenn der SVP-Vordermann, der lediglich Präsident der Zürcher Kantonalsektion ist, mit seinen Trabanten aber auch die Bundespartei immer mehr im Griff hat, in revisionistischen Kreisen geschätzt wird und angesehen ist. Die solcherart in die Enge getriebenen Restparteien versuchten in den letzten Monaten zu retten, was noch zu retten ist. Den Sozialstaat wollen sie nicht abbrechen, und alle stehen sie zusammen mit den Wirtschaftsverbänden hinter den bilateralen Verträgen mit der EU.

Sie haben genug von der Igelmentalität ihres Landes und sind willens, in den nächsten Jahren die dringend notwendige außenpolitische Öffnung der Schweiz in die Wege zu leiten. Dazu gehört auch der Beitritt der Schweiz zu den Vereinten Nationen. Die Konsenssuche gestaltet sich schwierig. Wird die Schweizerische Volkspartei ihre Ernte vor allem im 200-köpfigen Nationalrat, der im Proporz gewählten Volkskammer, einfahren, wird es die Partei in der zweiten Kammer, dem im Mehrheitsverfahren gewählten 46-köpfigen Ständerat, schwerer haben. Dort werden auch in der Amtsdauer 1999/2003 weiterhin die beiden bürgerlichen Traditionsparteien FDP und CVP das Sagen haben. Die Vereinigte Bundesversammlung, das Wahlgremium des siebenköpfigen Bundesrats, die Schweizer Regierung, wird es bei dessen Neuwahl im Dezember kaum zulassen, dass die in der Parlamentswahl gestärkte SVP mit einem zweiten Sitz in der Landesregierung honoriert wird.

Der Aufwind der SVP könnte in den nächsten vier Jahren in der Schweiz dazu beitragen, dass die politisch unterschiedlich gelagerten Parteien von links bis rechts in umstrittenen Fragen wie der Aussen-, Ausländer- und Sozialpolitik leichter den Konsens finden.