Pizza, Limo und Kameras

Warten auf das Urteil im Mafia-Prozess gegen Italiens Ex- Regierungschef Andreotti. Die Richter sind seit zehn Tagen im Beratungsbunker  ■   Aus Palermo Werner Raith

Die Hotels sind überfüllt – zumindest die bei Journalisten bevorzugten besseren. Vor dem neuen Gefängnis, in dem sich der Hochsicherheitsgerichtssaal befindet, stehen seit Tagen Fernsehkameras. Extra angefahrene Pizza- und Getränkestände wurden nicht weit davon eingerichtet. Doch das Warten zieht sich hin: Vor mehr als zehn Tagen, seit dem 12. Oktober mittags, haben sich die Richter des Prozesses gegen den siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti in das Beratungszimmer zurückgezogen, und die gesamte Presse ist seither auf reines Kaffessatzlesen angewiesen, wie das Urteil lauten wird.

Sehen die Richter das altbewährte Stehaufmännchen der italienischen Politik, mittlerweile 80 Jahre alt, der Unterstützung einer mafiosen Verienigung als überführt an und verurteilen ihn zu 15 Jahren, wie die Staatsanwaltschaft fordert? Oder hat sich Andreotti doch wieder aus der Schlinge ziehen können? 250 Verhandlungstage in vier Jahren Prozessdauer, 350 Zeugen, davon zwei Dutzend Mafia-Aussteiger, 800.000 Seiten Akten, eines der spektakulärsten Verfahren Italiens wird hier abgewickelt.

Und nun stehen die Journalisten vor den Toren der Justizmühle und sind ihrerseits auf tausenderlei Indizien angewiesen, wenn sie etwas berichten wollen. Ob der Urteilsspruch unmittelbar bevorsteht, erfahren sie zum Beispiel nicht von einem Gerichtssprecher: Sie müssen es aus den einzigen Orders entnehmen, die aus dem hermetisch abgeschlossenen Beratungszimmer hinausgelangen: für wie viele Tage der Vorsitzende in einem bestimmten Restaurant das Essen vorbestellt. Da nur noch für den gestrigen Freitag geordert wurde, könnte es am Wochenende so weit sein.

Aber auch das ist nicht gewiss. Einer der Verteidiger Andreottis ist nach Rom zurückgekehrt – er müsste einen halben Tag vor der Verkündigung informiert werden, um bei der Verlesung anwesend zu sein. Die Presse hat auch vor seinem Haus Beobachtungsposten aufgebaut.

Die Länge der Beratungen ist in Italien nicht unüblich – wenngleich sie bei einem einzigen Angeklagten schon sehr lange scheint. 1986/87 beim ersten Verfahren gegen die gesamte Mafia aus Parlermo dauerte es 35 Tage, bis die Richter geurteilt hatten: aber da waren immerhin 465 Angeklagte zu bewerten.

Mitunter haben solche Marathon-Beratungen ungewohnte Effekte: Als Richter Alfonso Giordano 1987 nach dem Mammutprozess aus dem Beratungszimmer trat, erkannte ihn niemand mehr, und die Carabinieri glaubten bereits an einen bösen Eindringling: Der Vorsitzende hatte fünzehn Kilo abgenommen und sich einen Vollbart wachsen lassen.

Ob Gerichtspräsident Francesco Ingargiola auch so aussieht, wenn er das Urteil verliest, ist daher mittlerweile Gegenstand eifriger Wetten: Sie stehen allerdings 1:10 gegen den Bart. Ingargiola gilt als supertrockener Jurist mit weltweitem Ruf. Schließlich war er vor mehr als 25 Jahren der allererste Richter, der den Mut hatte, den damals noch unumstrittenen Boss aller Bosse, Luciani Liggio, zu lebenslänglich Gefängnis zu verurteilen. Und daher stehen die Wetten für eine Verurteilung Andreottis zumindest bei Journalisten wesentlich günstiger als für den Bart Ingargiolas: Gut die Hälfte der Beobachter glaubt, der Politiker werde diesmal nicht mehr ohne Gefängnis davonkommen.