Das schnelle Ende einer Flucht

Der Nazi-Kollaborateur Papon wurde gefasst. Nun hilft ihm nur noch die Flucht in die Krankheit  ■   Aus Paris Dorothea Hahn

Die Flucht des Maurice Papon währte nicht lange. Wenige Stunden nachdem in Paris ein internationaler Haftbefehl gegen den wegen Mithilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zehn Jahren Gefängnis verurteilten 89-Jährigen ausgestellt worden war, klopfte am Donnerstagabend die Polizei an Zimmer Nummer 115 im Posthotel Rössli im noblen Schweizer Ferienort Gstaad. Drinnen befand sich ein gewisser Robert de la Rochefoucauld, der erstens seine wahre Identität bestritt, zweitens zwei weitere gefälschte Pässe mit sich führte und drittens umgehend eine Herzattacke bekam.

Seither befindet sich Papon auf der Krankenstation eines Berner Gefängnisses. In Paris ging umgehend ein Aufatmen durch die Reihen. Sowohl die durch Papons Abtauchen ins selbst ernannte „Ehrenexil“ in Erklärungsnot geratene französische Regierung als auch der Staatspräsident zeigten sich erleichtert. Im Parlament unterbrachen die Abgeordneten eine Haushaltsdebatte, um der Festnahme des Flüchtigen zu applaudieren. Und SprecherInnen der ZivilklägerInnen, meist Angehörige von Menschen, die Papon deportieren ließ, sagten, jetzt könne endlich ihre Trauerarbeit um ihre Verwandten beginnen.

Während die französische und Schweizer Justiz gestern die – ziemlich komplizierte – Frage der Auslieferung des alten Mannes an Frankreich berieten, wurde im Gefängnis Fresnes bei Paris eine krankentaugliche Zelle für den Häftling vorbereitet. Der Innenminister Jean-Pierre Chevènement lobte seine Polizisten und Geheimdienstler und ließ durchblicken, dass sie zu jedem Zeitpunkt gewusst hätten, wo sich Papon in den Tagen zuvor befunden habe. Premierminister Lionel Jospin feierte den Sieg des Rechtsstaats.

Gegen den 89-jährigen ehemaligen Generalsekretär der Präfektur der Gironde, der während des Vichy-Regimes die Deportation von rund 1.500 Juden organisiert hatte, war 1981 erstmals der Verdacht von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgesprochen worden. Damals war Papon Haushaltsminister in Paris, nachdem er in der Zwischenzeit eine steile Karriere über die Präfektur in Constantine im kolonialen Algerien, die Präfektur von Korsika und die Polizeipräfektur von Paris hinter sich gebracht hatte.

Bis zu einer Anklageerhebung gegen Papon vergingen 17 Jahre, während deren der Spitzenbeamte mit Verfahrenstücken und mithilfe seiner mächtigen Unterstützer unbehelligt blieb. In der Zwischenzeit wurde der – in der Verwaltungshierarchie wesentlich höher platzierte – zweite Spitzenbeamte von Vichy, dem ein Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit drohte, Ex-Polizeichef René Bousquet, in Paris erschossen. Das Schwurgerichtsverfahren gegen Papon kam schließlich Ende 1997 zu Stande. Er war der zugleich erste und letzte Spitzenbeamte des Vichy-Regimes, der wegen Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht kam. Das Urteil lautete: zehn Jahre Gefängnis. Da er das Verfahren jedoch wegen formaler Fehler anforcht, blieb er auf freiem Fuß.

Bis Mittwochabend. Da hätte Papon sich für die Zeit des Kassationsverfahrens an einer französischen Gefängnistür einfinden müssen. Er entzog sich durch Flucht ins Ausland, die er mit dem Begriff der „Ehre“ in einem Schreiben an eine Zeitung begründete. Wegen Abwesenheit Papons wies das Kassationsgericht am Donnerstag seine Klage ab. Damit wurde seine Gefängnisstrafe rechtskräftig und konnte der internationale Haftbefehl gegen ihn ausgestellt werden.

55 Jahre nach der Befreiung Frankreichs befindet sich jetzt mit Papon erstmals ein für die NS-Verbrechen mitverantwortlicher und rechtskräftig verurteilter Spitzenbeamter hinter Gittern. Bereits gestern zeichnete sich in den französischen Medien ab, dass auch jetzt wieder die medizinische Frage im Vordergrund der Berichterstattung über Papon stehen wird. Der Angeklagte, der schon zu Anfang seines Schwurgerichtsverfahrens in Bordeaux seine angeblich fragile Gesundheit und sein hohes Alter zu dem Zweck eingesetzt hatte, entgegen den französischen Gesetzen während des Verfahrens auf freiem Fuß zu bleiben, schafft es auch jetzt wieder, sein Herz in den Vordergrund zu rücken. Die eilends in die Schweiz geschickten französischen Sonderkorrespondenten sprachen weniger über die Opfer Papons und über die Farce der französischen Justiz in der Papon-Affäre als über das Herzklopfen des Verbrechers Papon.