Zwischen den Stilen

Selbstbewusster Einzelgänger und Eklektiker: Christian Schad in der Retrospektive des Ernst Barlach Museums  ■ Von Hajo Schiff

Er ist ganz gewiss nicht der einzige Künstler, dem die Ehre zuteil wurde, mit Arbeiten im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt zu sein, aber vermutlich der einzige, der davon überhaupt nichts wusste. Im Rahmen einer frühen Retrospektive auf die Dada-Bewegung wurden 1936 dort „Schadographien“ aus dem Besitz von Tristan Tzara gezeigt, ohne dass der Erfinder dieser Fototechnik, der bayrische Künstler Christian Schad, ansonsten dort irgendwie weiter erwähnt wurde. Künstlerische Anerkennung geht manchmal seltsame Wege: Erst seit der Wiederentdeckung in den Sechziger Jahren ist unstrittig, dass der mal der „Neuen Sachlichkeit“ mal dem „Magischen Realismus“ zugeordnete Künstler 1919 in Genf noch vor Man Ray oder Lazlo Moholy-Nagy das Photogramm auf Tageslichtpapier erfunden hat.

Wer war dieser vor dem Ersten Weltkrieg zum Dada-Kreis in die Schweiz geflohene Künstler? Mit über zweihundert Arbeiten, darunter sechzehn Gemälden, gibt eine Ausstellung im Wedeler Barlach-Museum Einblick in alle Werkphasen des 1894 geborenen Sohns eines angesehenen königlich-bairischen Juristen. Was da auf drei Stockwerken zwischen der kristallin zersplitterten, futuristischen Malerei der Kreuzabnahme von 1916 und der spitz-kritisch typisierten Federzeichnung eines Blumenmädchens von 1929, zwischen poetisch dinghafter Gedichtillustration in der um 1960 wiederaufgenommenen Fotogrammtechnik und Ölbildern trauriger Zigeunerkinder und nackter Maiden ausgebreitet ist, ist gleichwohl verwirrend. Denn der selbstbewusste Einzelgänger probierte sich in allen Stilen dieses Jahrhunderts, vom Expressionismus und Kubismus zum feinmeisterlich gemalten Realismus und einem mythisch-erotisch angehauchten, figürlichen Spätwerk.

Zu entdecken ist also nichts geringeres als das gesamte Künstlerleben, das hinter den bekannten, aus den Zwanzigerjahren stammenden Bildern steht, die in den großen Museen hängen. In allen Kulturgeschichten dienen jene aufreizend traurig blickenden Porträts und einsamen halbseidenen Halbakte Schads dazu, das Lebensgefühl der „Goldenen Zwanziger“ zu illustrieren. Ganz sicher sind diese, hier vertreten durch das „Bildnis eines Engländers“ und das Porträt seiner späteren Ehefrau Bettina, der Höhepunkt in seinem Werk. Die Wende zum meisterlichen, mit einem Hauch von ironischer Distanz gewürzten Realismus vollzog der kurzzeitig überzeugte Dadaist Schad angesichts der Bilder Raffaels. Denn vorwiegend in Italien lebt er mit seiner römischen Frau seit 1920. Er erhält sogar die Erlaubnis, den Papst zu porträtieren. Doch 1927 zieht es ihn in dann die Hauptstadt der Zwanziger: Berlin.

Dort aber verfinstern sich die Zeiten, da hilft auch kein Studium derasiatischen Philosophie und Geheimwissenschaften.1943 zerstört ein Bombenangriff sein Atelier vollständig. Schad zieht mit seiner zweiten Frau, einer Berliner Schauspielerin, die er kennenlernte, als sie ihm Modell saß, nach Aschaffenburg. Dort erhält er den Auftrag, die „Stuppacher Madonna“ von Matthias Grünewald zu kopieren, was ihm trotz aller sonstigen Ereignisse bis 1947 auch gelingt. Es folgt bis zu seinem Tod im Jahre 1982 eine zum größten Teil figürlich-eklektizistische Produktion, die, vorsichtig formuliert, nicht gerade auf der Höhe der Kunstdiskussion ihrer Zeit steht.

Dennoch ist es bemerkenswert, mit welchem Nachdruck das doch eher kleine Barlach Museum in Wedel immer wieder die Facetten der Kunst retrospektiv beleuchtet, die im Umfeld der Lebenszeit Ernst Barlachs die kulturelle Blüte im Deutschland der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ausmachte.

 noch bis zum 5. Dezember, Ernst Barlach Museum, Wedel, Mühlenstraße 1 Di - Sa 10 -12, 15 - 18 Uhr, So 10 - 18 Uhr