Großartiger Einstand

■ Daniel Hardings Debüt als Chefdirigent der Deutschen Kammerphilharmonie geriet zum überwältigenden Erlebnis

Nachdem Daniel Harding bereits seit zwei Jahren in jedem Konzert als neuer Chefdirigent der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen angekündigt worden war, ist es nun endlich wirklich so weit. Seit dem 1. Oktober hat er den Posten offiziell inne. Und so war sein Auftritt mit der Kammerphilharmonie in der Glocke tatsächlich sein Einstandskonzert.

Das basisdemokratisch verwaltete Orchester, das zurzeit um eine vernünftige Positionierung für die Zukunft kämpft, ohne dabei das konzeptionelle Gesicht zu verlieren, hat mit dem Engagement von Hardings Vorgänger Thomas Hengelbrock so gute Erfahrungen gemacht, dass mit Daniel Harding erneut ein „Musikalischer Direktor“ gewählt wurde. Das Orchester kommentierte bereits die erste Begegnung mit ihm beim Bremer Musikfest 1995 enthusiastisch („eine Offenbarung!“). Und auch Daniel Hardings Begeisterung über sein zukünftiges Orchester kannte damals ebenfalls keine Grenzen: „offen und begeisterungsfähig auf höchstem Niveau“.

Bei solchen Voraussetzungen kann ja nicht mehr viel schief gehen. Und ging es auch nicht. Obschon das Programm des Einstandkonzertes, Mozarts C-Dur-Sinfonie KV 338, Sopran-Arien aus Mozartopern und Franz Schuberts 2. Sinfonie nicht gerade programmatische oder interpretatorische Aha-Erlebnisse versprach, wurde es ein großartiger Abend. Harding präsentierte Mozart mit einer schönen Ausgewogenheit der Bläser und Streicher, einer explosiven Quirligkeit, die die Frage nach aufführungspraktischen Kriterien absolut hinten anstellte: Dieser explosive und transparente Stil markiert eine neue Synthese zwischen der historischen Aufführungspraxis und der des neunzehnten Jahrhunderts. Die eminente Musikalität von Daniel Harding garantiert ein erregtes Hineinhorchen in die Strukturen und Klangfarben. Vieles klingt, als habe er es im Augenblick erfunden. Und er beachtet Details derart, dass schon von daher eine Gefahr stromlinienförmigen Glanzes nicht gegeben ist.

Die frühen Sinfonien von Franz Schubert sind noch immer Stiefkinder in der Rezeption. Der Komponist scheint mit seiner achten und neunten Sinfonie alles niedergemacht zu haben, was er vorher schrieb. Wie wenig das stimmt, war beglückend zu hören in der Wiedergabe der 1814 innerhalb von drei Monaten entstandenen 2. Sinfonie in B-Dur. Sechzehn Jahre alt war der Komponist, und Welten liegen zwischen diesem insistierenden Werk und dem langweiligen Cellokonzert des achtzehnjährigen Richard Strauss, das Günter Neuhold uns neulich als jugendliche Genietat aufdrücken wollte. Auch hier gelang Harding mit der hinreißend musizierenden Kammerphilharmonie ein prickelnder und vibrierender Organismus voller Spannung und Dramatik. Wunderbar vor allem Übergänge, Stellen, in denen sich nach orchestraler Wucht auf einmal ein Instrument herauslöst: Das war glänzend gemacht, voller Konturen, voller Atem und voller Klangschönheit.

Wenn Daniel Harding es wie hier unterlässt, mit zu viel Bewegung um sich zu schlagen (eine Gefahr, die durchaus schon auftauchte), wenn er seinen Körper auf die Notwendigkeit allein dessen ausrichtet, was die Musik verlangt, dann ist von ihm und dieser Verbindung noch viel zu erwarten. Wenn Daniel Harding eine lebenslange Entwicklung seiner Begabung gelingt – was angesichts des verrückten Medien- und Vermarktungszugriffs, dem er im Augenblick ausgesetzt ist, schwer genug sein wird –, dann wird es vor allem die Schaffung von Energieströmen sein, die er aus der Musik herauszuziehen und wieder in sie hineinzugeben versteht, die uns noch viel Freude bereiten werden. Daniel Harding und die Deutsche Kammerphilharmonie: nach diesem Konzert eine Ehe mit einer sehr guten Basis. Aber wie jede Ehe: Ende offen.

Zwischen den Sinfonien sang die Sopranistin Ruth Ziesak Arien von Mozart: sehr schön, mit großen Reichtum an inhaltlich ausgerichteten Nuancen. Begeisterter Beifall und eine dramatisch gespielte „Coriolan“-Ouvertüre von Beethoven als Zugabe. Ute Schalz-Laurenze