Ironie und Selbstinszenierung

■ Zu Benjamin v. Stuckrad-Barres Lesung strömten die Massen. Sie sahen besser aus als jene, die Titanic-Filme in der Schauburg sehen wollten

Kürzlich soll der Amerikaner Bret Easton Ellis in Bremen gewesen sein. Dessen Romane und Kurzgeschichten behaupten dies: Alle Menschen, die eine gewisse Achtsamkeit bei der Markenwahl ihrer Unterhose an den Tag legen und ihr floridasonnengebleichtes, surfwinddurchfurchtes Haar gerne gegen cognacfarbene Counelliledersitze silberfarbener Mercedescoupes reiben, tragen anstelle von Gefühlen und Gedanken nur valiumdurchwehte Leere in sich. Doch die Kinder des Glücks sind nicht nur unglücklich. In diesen Calvin-Klein-unterbehosten, luxussedierten, drüsenlosen Hohlkörpern soll dann plötzlich hemmungslose Triebtäterschaft blutig hervorbrechen. Eine ziemlich dusslige Erklärung gesellschaftlicher Gewalt. Heutzutage pflegt man sowas eine „messerscharfe, bitterböse Gesellschaftsanalyse“ zu nennen.

Vergangenes Wochenende waren weitere Fachleute für Stylingfragen und Kritiker des schönen Scheins zu erleben: Benjamin von Stuckrad-Barre und die Crew des Satiremagazins „Titanic“. Auch Stuckrad-Barre untersucht die entscheidende Frage, warum wer welche Klamotten und Meinungen trägt. Überall entdeckt er das Getue, das Reproduzieren vorgefertigter Sprach- und Handlungsmuster. Zum Beispiel bei der netten Gästehausleiterin. Die will ihre Umgänglichkeit beweisen, indem sie die Scorpions als „umgängliche Leute“ bezeichnet. Doch Stuckrad-Barre durchschaut nicht nur alte, wehrlose Damen, sondern am allerliebsten sich selbst, seine Rolle als talentierter Jungautor.

Er erzählt von seinen Erlebnissen als Vortragsreisender: „Da hat jemand huhu, gejubelt; da habe ich mir gedacht ,Scheiße', Literatur muss doch heute anecken.“ Er verulkt Feuilletonschwurbeleien: „Dieser Text ist aus dem Jahre 1996. Aber er hat von seiner Aktualität nichts eingebüßt.“ Und er staunt über die eigenen: „Unfass-bar. So schreibt man mit sechzehn. Hat denn da niemand vom Verlag lektoriert?“ Und dann erzählt er noch die Geschichte, wie er an einer Einkaufskasse steht und sich bis über beide Ohren schämt wegen des peinlichen Produkts in seinen Händen (nein, nicht die Kondompackung aus der Ingolf-Lück-Aids-Werbung, sondern eine unschuldige Scorpions-CD). Und irgendwann, auf einer anderen Vortragsreise, wird er einmal erzählen, dass er mal diese Geschichte erzählte. Und er wird erzählen, dass diese Geschichte eigentlich nichts als Getue sei, zwar kein Geniegetue, aber ein Tölpelgetue. Und er wird darüber witzeln, dass das Ironisieren von Selbstinszenierung nichts anderes ist als eine Selbstinszenierung, wenn auch eine ziemlich gescheite. Will sagen: Der Mann ist mit seinen 25 Jahren beneidenswert und bewunderungswürdig klug.

Nichts, was er nicht durchschauen würde, nichts, was er noch ernst nehmen kann. Er erkennt das Falsche im Richtigen. Das Richtige im Falschen erkennt er vielleicht nicht mehr. Der ironische Blick schirmt ab wie ein Taucheranzug. Aber das Richtige existiert noch. Zum Beispiel in den ersten zwei Publikumsreihen im Lagerhaus. Dort saß eine Phalanx hübscher Mädels, just wie bei den Backstreet Boys, nur vielleicht zwei Jahre älter und klüger. Diese beneidenswerten Geschöpfe können offenbar zwei widersprechende Dinge gleichzeitig: Hohnlachen, zum Beispiel über schwärmerische „Kassettenmädchen“. Und ganz naiv schwärmen.

Ironie scheint übrigens DIE Geisteshaltung der Zukunft zu sein. Etwa 25.000 Menschen drängten ins Lagerhaus. Viele mussten abgewiesen werden. Fast alle waren zwischen 20 und 30 Jahre alt und sahen überdurchschnittlich gut aus, nicht nur die Klamotten, auch die Gesichter. Wie das jetzt wieder zu erklären ist?

Nicht besonders gut sieht dagegen der durchschnittliche Redakteur der Titanic aus. Außerdem trägt er fünf halbverglühte Pickel im Gesicht. Drei davon (von den Redakteuren, nicht von den Pickeln, denn es war dunkel) waren in der Schauburg zu sehen. Sie stellten ihre kleinen Filme vor, allesamt Persiflagen von TV-Reportagen. Die Titanicer bringen einen leibhaftigen Bürgermeister dazu, wirtschaftsfördernden Schwachsinn über die architektonische Brillanz eines Parkhauses zu sagen. Ein anderer Bürgermeister genehmigt einen fingierten Castortransport in einem rumpelkistigen LKW durch sein Dorf, ganz einfach, weil das offiziöse Genehmigungsformular seiner Behördensseele Respekt einflößt. Superlustig und gruselig. Die Auflage der Titanic sank einige Jahre lang, jetzt stagniert sie. Halten wir also als Ergebnis dieses Textes fest: Das Zerpflücken der Pop- und Design-Albernheiten, wie es Stuckrad-Barre macht, ist heute Kult, das von Politik eher nicht. bk