Skandalautoren auf Lesereise
: Seltsame Fragen

■ Heiter, souverän und maliziös: Michel Houellebecq las in der Literaturwerkstatt

Zum Abschluss seiner zweiwöchigen Lesereise durch Deutschland las Michel Houellebecq, Frankreichs umstrittene literarische Hoffnung, am Freitagabend in der Literaturwerkstatt aus seinem Roman „Elementarteilchen“. Würde er wieder im unvermeidlichen blauen Polohemd auftreten? Oh ja, das tat er. Und es wurde ein schöner, heiterer Abend.

Schon das Publikum, junge Leute aus dem Romanistikseminar mit Rotweinglas in der Hand, machte einen aufgeräumten Eindruck. Kaum zu glauben, dass man gekommen war, um einen dunklen Untergangsträumer, einen konservativen Revolutionär, einen depressiven Feind der Moderne zu erleben.

Uli Wittmann, Übersetzer der „Elementarteilchen“, gab in seiner Einführung denn auch gleich den Ton vor: Spöttisch berichtete er von der Begeisterung der Linken über Houellebecqs ersten Roman, „Ausweitung der Kampfzone“, und vom moralischen Aufschrei über den zweiten. Und davon, dass der Schriftsteller nicht mehr Metro fahren könne, ohne von Wildfremden mit seltsamen Fragen behelligt zu werden.

Heiterkeit im übervollen Saal, auch als Wittmann versehentlich von „Ausweitung der Kampfzote“ sprach und damit den provokanten Duktus des Franzosen etwas verquer auf den Punkt brachte. Vorgelesen wurden dann aber vor allem melancholische und grell parodistische Partien aus den „Elementarteilchen“. Ausgeblendet blieb die negative Romantik, blieben die unverblümten Schilderungen meist desperater Sexualität und die technokratische Utopie einer per Genmanipulation abgeschafften Menschheit. Houellebecq selbst erklärte, dass er schmerzliche Passagen nicht öffentlich vorlesen möge, ebensowenig wie die traurigen Liebeskapitel gegen Ende des Romans.

Atmosphärischer Höhepunkt des Abends war das von Wittmann vorgelesene bitterböse Kapitel, in dem eine der beiden männlichen Hauptfiguren in einem Nudistencamp für New-Age-Jünger einen Kursus „Creative Writing Soft“ besucht und dort mit alternden 68erinnen Befindlichkeitsgedichte verfassen soll. Völlig unbeeindruckt vom giftigen Witz dieser Passagen wollte in der anschließenden Diskussion eine ergraute Dame wissen, was Houellebecq empfinde, wenn er Gedichte schreibt. „Nun ja“, druckste der Schriftsteller, mühsam gegen einen Kicheranfall ankämpfend, „quasi nichts. Das Dichten ist eine der seltenen Situationen, wo ich gar nichts denke.“

Auch andere Fragen waren höchst erstaunlich: Was halten sie von Hitler? Was halten Sie vom Internet? Was halten Sie von Novalis? Wenn der schüchterne Houellebecq immer so souverän und maliziös reagiert, dürften ihn dreiste Jünger in der Metro nicht sehr schrecken. Ein netter Skandalautor.

Reinhard Krause