Kommentar
: Rituale

■ Die SPD ringt mit sich selbst

Die Berliner Sozialdemokraten haben schon lange kein Lob mehr gehört. Das ist schade. Denn die Partei hat Recht – zwar nicht immer, aber doch in einem Punkt, für den sie arg gescholten wurde. Es hat einen guten Grund, dass sie die gestrigen Gespräche mit der CDU nicht als „Sondierung“ ausgeben mag: Es gibt nichts zu sondieren. Längst sind die Argumente für und wider eine Große Koalition ausgetauscht. Seit sich die Partei vor vier Jahren mit der Frage quälte, ist kein einziges hinzugekommen.

Kein Wunder also, dass sich die Rituale von damals zum Verdruss des Publikums wiederholen. Natürlich wollen alle wichtigen Funktionsträger, damals wie heute, in den Senat. Und die Basis nörgelt, wie immer. Das darf sie auch, schließlich brauchen die SPD-Unterhändler ein Druckmittel gegenüber der CDU. Wichtig ist nur, dass auf dem Parteitag die nötige Mehrheit zusammenkommt.

Um dieses Ziel zu erreichen, übt sich die Parteiführung im Heucheln. Vor vier Jahren verfiel sie auf die absurde Idee, mit den verdutzten Grünen über die gemeinsame Duldung eines CDU-Minderheitssenats zu verhandeln – um der Basis zu beweisen, man habe alle Möglichkeiten ausgelotet.

Diesmal trieben es Parteichef Strieder und Fraktionschef Böger besonders bunt. Um der Partei die Ernsthaftigkeit der Verhandlungen zu demonstrieren und die CDU unter Druck zu setzen, schimpften die beiden Senatsaspiranten heftig auf den Koalitionspartner, mit dem sie doch um jeden Preis zusammengehen wollen.

Ihre Äußerungen machen deutlich: Das Drama von 1995 wiederholt sich. Spannend ist nicht so sehr die Frage, ob die SPD das Bündnis mit der CDU erneuert oder nicht. Unklar ist nur, ob es den neuen Senat vor Weihnachten gibt oder erst im neuen Jahr.

Die „Sondierungsgespräche“ der SPD-Spitze dienen nicht dem Erkenntnisgewinn. Sie sind pädagogische Maßnahmen gegenüber der eigenen Basis. Scheibchenweise steigert die Parteiführung in ihrem Palaver mit der CDU den Grad der Verbindlichkeit, auf dass das SPD-Parteivolk mitziehe. Hat man erst ein paar Monate verhandelt, ist es ohnehin zu spät, um noch erhobenen Hauptes in die Opposition zu marschieren.

Ralph Bollmann