Eilig? Da hilft nur beten“

■ Ein Berliner Kirchenkreis wirbt mit Nackten um Schäfchen

Erwischt! Der Mann im Adamskostüm flüchtet in den Kleiderschrank, aber die völlig Entblößung bleibt aus – bauchabwärts hängt ein Spruch: „Willkommen in der Kirche“.

Dies ist eines von acht Motiven auf großflächigen Plakaten, die ab Sonntag in der Bundeshauptstadt zu sehen sein werden. Mit einer professionellen und nach eigenen Angaben „frechen“ Werbekampagne sucht der mit 100.000 Mitgliedern zweitgrößte Kirchenkreis Berlins die Provokation – und mehr Aufmerksamkeit sowie neues Interesse an ihren Angeboten. Der nackte Mann etwa wirbt für die Ehe- und Partnerschaftsberatung der evangelischen Kirche: Eine Telefonnummer auf dem Plakat bietet für jeden Verzweifelten die Möglichkeit, die kirchlichen Berater sofort anzurufen.

Es geht dem Kirchenkreis darum, die Vielfalt seiner Angebote zu vermitteln. Und so werben auf anderen Plakaten, die ab dem Reformationstag auch vor den Kirchen aushängen, Heidi und der Alm-Öi für die Alleinerziehendengruppen, ein küssendes Pärchen in einer Telefonzelle für die Schwangerschaftsberatung und singende Fußballfans für die Chöre und Bands der Gemeinden. Auch Auto-Aufkleber in Orange sind zu haben: „Eilig?“ steht auf einem, „Da hilft nur beten.“ Oder: „Nicht drängeln. Wir kommen alle noch früh genug zum Herrn.“

„Wir hoffen, wieder näher zu den Menschen zu kommen“, erklärt Pfarrer Werner Rohrer, Mitinitiator der Kampagne, den Werbefeldzug, zu dem auch Funkwerbespots und Postkarten gehören. „Ich erwarte nicht, dass die Kircheneintritte jetzt drastisch ansteigen, aber ich hoffe zumindest, dass die Kirche wieder thematisiert wird und nicht weiter in die Bedeutungslosigkeit abrutscht.“

Seit 1995 sind in den 24 Gemeinden des Kirchenkreises über 12 Prozent der Mitglieder ausgetreten – aus christlicher Nächstenliebe haben deshalb die Models zum Teil auf ihre Honorare verzichtet. Dennoch kostet die Kampagne einiges: Mit dem Geld für die Kampagne, so Rother, hätte man zwei Kirchen-Mitarbeiter für etwa ein Jahr bezahlen können. „Dies würde aber keine strukturelle Hilfe bedeuten, an dem Problem der Austritte und schwindenden Aufmerksamkeit nichts ändern.“

Die Kampagne war intern nicht unumstritten. Als sie Ende März den gut 100 Abgeordneten aus den Gemeinden und Synoden des Kirchenkreises präsentiert wurde, äußerten manche Bedenken – aber eine große Mehrheit der Christen sprach sich dann doch für den Werbefeldzug aus. Jetzt ist eine Diskussion in allen Gemeinden der Landeskirche entbrannt. Bischof Wolfgang Huber unterstützt, gewohnt medienbewusst, die Sache. Ein zweiter Kirchenkreis im schicken Wilmersdorf, will sich am 1. Advent der Werbeaktion anschließen. Der Wirbel, den die Kampagne innerhalb der Kirche ausgelöst hat, ist Pfarrer Rohrer gar nicht unlieb. Die Kirche müsse sich verändern, betont er, „veraltete Strukturen“ müssten aufgebrochen werden. „Wir hoffen, dass unsere Werbekampagne ein Schritt in diese Richtung ist.“

Philipp Gessler