■ Wird der Wirtschaftsaufschwung Kanzler Schröder retten?
: Kein Punkt für Rot-Grün

Wirtschaftsfunktionäre bemängeln fehlende Standortqualitäten, Gewerkschaften zu niedrige Beschäftigtenzahlen, Wähler, dass der versprochene Wechsel ausbleibt. Kurz: Die Bilanz nach einem Jahr Rot-Grün ist eher bescheiden. Und so kommt das positive Herbstgutachten der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute auf den ersten Blick genau zur richtigen Zeit. Denn, so die Prognose, der Aufschwung wird auch neue Arbeitsplätze mit sich bringen. Das verspricht gute Aussichten für den Kanzler, der sein politisches Schicksal mit dem erfolgreichen Abbau der Arbeitslosigkeit verknüpft hat. Kündigt sich da ein Stimmungswechsel an?

Nicht so hastig. Denn Schröder wird diese Entwicklung nur helfen, wenn er die konjunkturelle Erholung als Folge – und Erfolg – seiner Politik verkaufen kann. Dass dies funktionieren kann, hat ihm sein französischer Kollege Jospin vorgemacht, der die gute Konjunktur nutzte, um die Einführung der 35-Stunden-Woche und massenhafte Beschäftigungsprogramme voranzutreiben, und so ein kleines Jobwunder für sich reklamieren kann.

Dass Schröder Ähnliches glückt, ist mehr als fraglich. Dazu war die rot-grüne Politik zu halbherzig. Die passendste deutsche Lösung wäre ein gelungenes Bündnis für Arbeit gewesen. Und hier hat die Regierung bislang überhaupt noch nichts zu bieten. Auch die Unternehmenssteuerreform liegt bislang nur in Eckpunkten vor. Und nicht einmal die Reform der Einkommensteuer taugt als Erklärung für die konjunkturelle Belebung: Sie sollte die private Binnennachfrage stärken und die Unternehmen zu mehr Arbeitsplatzinvestitionen verleiten. Zur Ankurbelung der Kauflust reichte die steuerliche Entlastung jedoch nicht aus. Investiert wurde weiterhin eher in den Abbau von Arbeitsplätzen.

Das prognostizierte Wachstum fußt auf den hohen Exportraten. Und die verdanken sich vor allem dem Abflauen der Krisen in Russland und Asien.

Diese Entwicklungen als Ergebnis rot-grüner Politik zu verkaufen, ist nicht einmal Schröder zuzutrauen. Viel eher, dass er über die Beweisfrage hinweghuscht und stattdessen zum konkreten und vor allem schnellen Nutzen des Aufschwungs übergeht: Angesichts eines freundlicheren Klimas dürfte es Schröder leichter fallen, das längst geschnürte Sparpaket schnell und ohne allzu großen Widerstand durchzudrücken. Dass ihn dies in der Wählergunst nachhaltig voranbringt, ist allerdings kaum zu erwarten. Beate Willms