„Künstler sind nicht dämlich“

■ Seit langem denkt Anne Schlöpke nach über Neudefinitionen von Kunst. Jetzt war sie als „Dienstleisterin“ Gast der Venedig-Biennale

Vor ziemlich genau einem Jahr fing es an. Da schneiten plötzlich Einladungen in die Redaktion in ironisch-hässlicher 60er-Jahre-Optik und mit undurchsichtigem Anliegen. Angekündigt wurde Kunst, die dem Besucher ein solch profanes Dinge wie Lebenshilfe versprach, etwa in Form eines Schlagzeugs zum Zwecke des Stressabbaus oder einer kunstbespielten Wärmestube für Nachtarbeiter. Unter dem Logo „K.Ö.N.I.G – Dienst am Kunden“ suchte die Künstlerin Anne Schlöpke in diversen Ausstellungen und Aktionen im Künstlerhaus nach neuen Beziehungen zwischen Künstler und Rezipient. Gibt es vielleicht auch für den Künstler Sinn von seinem Podest des Genies zu stürzen und als Dienstleister zu definieren? Kürzlich erklomm das eigenwillige Projekt seine Klimax. Da durfte Schlöpke zusammen mit den Kolleginnen Barbara Thiel und Isolde Loock hochoffiziell auf der Biennale in Venedig kunsten. Ahnungslose Besucher wurden überfallen mit der Frage „Was wünschen Sie sich von Kunst?“ Die ließen sich das nur allzu gerne gefallen. Die Antworten allerdings gerieten so, dass sie ganze Künstlergenerationen in Depressionen stürzen könnten: Sinn (BRD), etwas Kreatives (Holland), wieder Kind sein (USA, typisch!), ice cream (Griechenland). Solches frustrierte aber die Künstlerinnen keineswegs.

taz: Warum dieses provozierende Einordnung des Künstlers in den Tarifbereich der ÖTV.

Schlöpke: Provozierend wirkt der Begriff Dienstleistung ja nur auf den elitär orientierten Kunstbetrieb. KünstlerInnen leisten Dienste und werden dafür bezahlt, meistens schlecht. Sie können sich aber ihr Brot und Bett nicht selber malen – wie einige anscheinend noch immer glauben. Uns interessierte wie KünstlerInnen auf Forderungen und Zumutungen unserer Dienstleistungsgesellschaft reagierten, und zwar nicht nur in ihren Marktstrategien, sondern in ihrem Verhältnis zum Publikum.

Welche haben Sie besonders überzeugt?

Schlöpke: Alle, aber als Beispiel Mark Formanek. Der fuhr mit seinem Tröstermobil MOB T 2 durch Bremen. Man konnte ihn zu sich nach Hause bestellen wie einen Pizzaservice. Statt Pizzen lieferte er allerdings Worte. Die sollten nicht den Magen, sondern die Seele besänftigen. Diese Worte wurden folgendermaßen zusammengetragen: Mark Formanek bat irgendwelche Leute, ihre liebsten Trostformeln niederzuschreiben. In diesen Worten ist also so einige Lebenserfahrung abgespeichert. Formanek nahm sie auf und spielte sie auf seiner Autokassettenrecorder auf Anfrage ab. Ein gewitzter Kommentar zur Kunst im öffentlichen Raum.

Loock: Da tönte durch die Straße zum Beispiel: „Atme einfach mal tief durch. Heute ist Montag, und das ist gar nichts Schlimmes. Es ist nur Montag.“ Ich hab' mein Zeug liegen gelassen, bin ans Fenster gerannt und dachte, ja, genau, der hat Recht; das ist zwar banales Zeug, was der da sagt, aber wenn dir vielleicht gerade die Elektrizitätswerke den Strom abgestellt haben, brauchst du genau diese Art von Sätzen.

Wie kamt ihr auf die Biennale?

Schlöpke: Eingeladen waren wir von der italienischen Gruppe „Oreste“. Zu deren Programm gehört es, in ihrer Kunst ganz auf Materielles zu verzichten. Und auch wir brachten vor allem uns selber mit, verwickelten als Artservice-Personal die Besucher in Gespräche. „Oreste“ versteht sich als Vernetzer. Und so öffneten sie den Raum, den sie von Harald Szeeman bekamen, für andere.

Loock: Diese Veranstaltertätigkeit betrachten sie selbst als Kunst.

Schlöpke: Darin zeigt sich eine andere Definition künstlerischer Arbeit: Kommunikationskanäle graben!

Wie ist „Oreste“ auf Euch gestoßen.

Schlöpke: Durch einen anderen großen Kommunikator: Das Internet. K.Ö.N.I.G schwirrt darin herum.

Loock: Diese Biennale dagegen ist eher wie das Fernsehen: absolut eindimensional. Der Rezipient wird zugehäuft mit Eindrücken und weiß dann nicht wohin damit. Die Stöpsel im Ohr, diese in Museen immer öfter eingesetzten Kunsterklärungen aus der Bandmaschine, veranschaulichen die Eingleisigkeit des Informationsflusses sehr schön. Da empfanden es viele Besucher der Biennale als ausgesprochen angenehm, bei uns nicht weiter abgefüllt zu werden, sondern ihrerseits plötzlich im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.

Schlöpke: Und uns machte es auch Spaß. Manchmal profitiert bei einer Dienstleistung am meisten der Dienstleister selbst.

Loock: Es war Sonntag. Wir waren plaziert in einem Durchgangsraum. Die Leute konnten uns nicht entkommen. Wir erhielten Anworten aus aller Herren Länder. Die Jugendlichen aus Santa Monica/Kalifornien wechselten mit dem alten Paar aus Antwerpen.

Warum diese superschlichte Frage nach der Erwartung gegenüber Kunst.

Loock: Künstler selbst fragen sich selbst vermutlich immer mehr: Welchen Sinn hat meine Kunst, und für wen mache ich das eigentlich. Schon früher, als ich noch geschrieben habe, stellte ich fest, das lesen eigentlich fast nur die Kollegen.

Schlöpke: Ich stellte die Frage, weil mich die Antwort interessiert. Das romantische Bild vom Künstler als einsamen Außenseiter ist doch passe. Wenn ich mich von allem abgrenze, erfahre ich auch nichts. Allerdings: Nach den Erwartungen fragen heißt noch lange nicht, sich danach zu richten.

Aber überraschende Antworten gab es nicht.

Loock: Nein, eher das was man sich vorweg schon dachte.

Schlöpke: Aber eine gute Mischung, von „Transparenz“ bis „Emotionen“ – und „Ruhe“, nach all der vielen Kunst.

Loock: Ein Liebespaar zog ein Tandem-Fahrrad vor. Die wünschten offenbar die Abwesenheit von Kunst.

Schlöpke:Wichtiger als die Inhalte waren für uns Ort und Form der Kommunikation. Wenn man sich mit Sinnkrisen im Atelier rumschleppt, vergisst man schnell, wie interessant die Arbeit als Streetworker sein kann.

Loock: Aber auch die Leute profitierten. Nachdem wir sie angeregt haben, über ihre Erwartungen von Kunst nachdenken, zeigten sie viel größeres Interesse gegenüber einzelnen Kunstwerken, steckten ihre Nasen neugierig in unsere Kataloge. Das zeigt mir, dass wir im Normalfall viel zu wenig Kommunikation haben, dass es eben doch keine Kommunikationsgesellschaft ist, in der wir leben.

Schlöpke: Das merkt man auch, wenn man in der Bahn fährt. Schweigen. Deshalb muss ja auch die Kultourbahn her.

Loock: Es reicht nicht, Leuten die Kunst an den Kopf zu knallen. Deshalb habe ich schon mal Führungen durch die eigene Ausstellung angeboten. Auch wenn ich dafür von Künstlerkollegen sehr angegriffen worden bin.

Wie reagierten die Kollegen auf die ganze K.Ö.N.i.G.-Reihe?

Schlöpke: Unterschiedlich, interessiert bis ablehnen. Denn der Begriff Dienstleistung wird in der kulturpolitischen Debatte in Verbindung gebracht mit so unfeinen Dingen wie Entertainmentkultur, Spaßkultur für die großen Masse und Ächtung von Minderheitenprogrammen.

Und Ihr wolltet den Begriff umdefinieren und für die eigenen Interessen und Vorstellungen nutzbar machen.

Schlöpke: Kann man sagen. Kunst ist immer Dienstleistung und die Künstler werden in Dienst genommen. Sie füttern den Markt – selbst mit kritischen Interventionen und Störungen. Die werden unter dem Logo ,Neuheit' sofort verwertet.

Und hat das nun Einfluss auf Euer eigenes Schaffen?

Loock: Nein. Ich mache in althergebrachter Weise meine Kunst und denke dabei nicht an das Publikum.

Schlöpke: Auch ich denke bei der Arbeit im Atelier nicht an den künftigen Betrachter. Aber ich finde es notwendig, die Grenzen zwischen künstlerischer Arbeit und Vermittlung aufzuweichen. Die Verantwortung für die eigene Arbeit hört nicht an der Ateliertür auf.

Oft begegnen einem Künstler, die setzen einen lilafarbenen Stricah und behaupten dann, dieser Strich würde sich auseinandersetzen mit dem Aussterben der Robben und den Adolenszenzkrisen blondhariger Jungs. Nur, der Betrachter hat keine Chance, diese Dinge zu erkennen.

Loock: Oft gibt er sich zu wenig Mühe, diese Dinge zu erkennen. Seit Jahren sage immer wieder: Künstler sind in aller Regel nicht dämlich. Die denken schon nach.

Was erwartet Ihr selbst von Kunst?

Loock: Ich habe keine fixen Erwartungen. Kunst kann ganz verschiedene Dinge bezwecken und bewirken. Schließlich entwickelt sich auch meine Kunst jeden Tag neu.

Schlöpke: Weltverbesserung – was sonst? Kunst anzugucken stimuliert mich und gibt mir die Freiheit, ständig neue Sachen auszuprobieren.

Loock: Was mich auf der Biennale, vor allem im internationalen Arsenale-Bereich, beeindruckte, das war die Leichtigkeit, der Witz, dieses Gefühl, dass heute in der Kunst ganz viel Verschiedenes möglich ist. Frage: bk