Soldaten sind Gärtner

■  Reservisten stellten auf einem jüdischen Friedhof neue Grabsteine auf. Tagesbefehl: Buddeln für die Verbundenheit mit der Jüdischen Gemeinde

Zunächst war keine Schaufel zu finden. Und als General Eckart Fischer dann eine Schippe in Händen hielt, fragte er: „Wo soll ich schaufeln?“ Schließlich fand sich ein Grab, an dem der Standortbevollmächtigte für Berlin seine Tatkraft demonstrieren konnte. Er warf Erde auf, verteilte sie und stampfte sie mit seinen Springerstiefeln fest. „Sagen Sie mir, wenn es zu viel ist.“ Die Reservisten sparten nicht mit Anweisungen und beruhigten ihren Vorgesetzten. Die Arbeit müsse nicht perfekt sein, schließlich gehe es um den symbolischen Akt.

Michael May, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, fand, dass die Soldaten in den Uniformen „sehr gut“ aussähen. Er machte ihnen Mut: „Es gibt nicht jeden Tag die Gelegenheit, einen General herumzukommandieren. Also genießen sie es.“

Die Soldaten waren sehr gelassen und locker an diesem Herbsttag, machten aber deutlich, dass es eine „ehrenvolle und traurige Sache sei“, wie Richard Tekath, ein französischer Reservist sagte.

Im nächsten Herbst werden auf weiteren von Efeu überwucherten Gräbern Steine aufgestellt. Wenn das in dem Tempo weitergeht, wird es noch zwanzig Jahre dauern, bis das Projekt abgeschlossen ist. Das liege, wie Regina Borgmann von der Jüdischen Gemeinde sagte, nicht an mangelnder Motivation, sondern am fehlenden Geld. Aber sie sei froh, dass mit der Arbeit überhaupt begonnen werden konnte.

Die Bundeswehrreservisten haben in Weißensee auf dem größten jüdischen Friedhof Europas in den letzten zwei Wochen etwa 150 Gräber mit Grabsteinen versehen. Bestattet sind hier Männer und Frauen, die um 1942 kurz vor ihrer Deportation Selbstmord begangen haben. Wer wo lag, war bekannt. Nur die Grabsteine fehlten.

Das Projekt, betonte Stabsunteroffizier Hans Albrecht, Pressesprecher der Bundeswehr, sei eine „liebe Tradition“ und keine Reaktion auf die Anfang Oktober verübten Grabschändungen. Vielmehr sollte das „Verhältnis der deutschen Armee und der jüdisch-deutschen Bevölkerung“ gefestigt und ein „Zeichen der Verbundenheit“ gesetzt werden.

Gestern trafen auf dem Friedhof erstmals Vertreter der Bundeswehr, des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Berlins zusammen, um sich bei den Reservisten zu bedanken. Die Zusammenarbeit zwischen den drei Organisationen begann 1995, als die Gräber von Soldaten jüdischen Glaubens aus dem Ersten Weltkrieg wieder hergerichtet wurden.

Zweihundert Meter entfernt, haben zwölf Reservisten der Bundeswehr und der französischen Armee begonnen, den ersten von „dreitausend bis viertausend namenlosen Opfern ihre Identität zurückzugeben“, wie General Eckart Fischer betonte.

Michael May ging es darum, in Anbetracht der Grabschändungen vom Oktober „die andere Seite der Realität“ zu zeigen. Auch General Fischer wollte deutlich machen, „dass es in der Bundeswehr nicht nur eine Seite gibt und dass man nach dem Krieg nicht nur eine verbale Verplichtung“ habe zu helfen, sondern auch „selbst Hand anlegen“ müsse.

Das tat General Fischer dann auch mit dem Spruch: „Jetzt muss ich mal ernsthafte Arbeit leisten.“ Als sich die Journalisten nach dem Pressetermin wieder auf den Heimweg machten, verließen auch die Soldaten den Friedhof. Übrig blieben nur ABM-Kräfte. Sie haben erst mal Ordnung geschaffen. Bis zum nächsten Jahr.

Jan Brandt