Militärs lassen sich ungern beobachten

Jedes Jahr wird im französischen Bayeux ein Preis für Kriegsberichterstattung vergeben. Die Arbeit der unabhängigen ReporterInnen wird zunehmend durch staatliche Zensur erschwert  ■   Aus Bayeux Dorothea Hahn

Was ist eine gute Kriegsreportage? Darf sie Täter und Opfer in Aktion zeigen? Soll sie Blut fließen lassen, Vertreibungen life zeigen, die Ereignisse aus der ersten Frontreihe beschreiben? Muss sie erklären, worum es bei dem Gemetzel geht? Wer es provoziert und wer davon profitiert?

Diesen Fragen spürt alljährlich eine international besetzte JournalistInnenjury in der normannischen Kleinstadt Bayeux nach. Während zweier Tage im Oktober lesen, betrachten und hören die JurorInnen eine Auswahl aus den weltweiten Gräuelberichten der Vormonate. Die besten in den Disziplinen Foto, Printmedien, Radio und Fernsehen bekommen den „Prix de Bayeux“ in Höhe von je 50.000 Franc (ca. 15. 000 Mark).

In diesem Jahr stellten die 60 JurorInnen aus aller Welt, darunter die Autorin dieser Zeilen, fest, dass sich die Medien vor allem auf einen einzigen Krieg eingeschossen hatten: Jenen gegen Jugoslawien, den die Nato offiziell nie einen „Krieg“ nennen wollte. Von 111 Wettbewerbsbeiträgen handelten 78 davon. Genauer gesagt, vom Kosovo. Denn die meisten JournalistInnen bemühten sich gar nicht erst auf die serbische Seite der Front. Nur 33 der eingereichten Beiträge thematisierten Kriege außerhalb Europas, vor allem jene in Afrika.

Während die größten kriegerischen Konflikte anderswo in der Welt stattfanden – nach Uno-Angaben gab es in Sierra Leone die meisten Verletzten und Toten, beteiligten sich am Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien die meisten Soldaten und produziert Afghanistan weiterhin die meisten Flüchtlinge – absorbierte das Kosovo über Monate hinweg fast die komplette internationale Medienaufmerksamkeit.

Der Kosovo-Overkill, der sich in Bayeux wiederholte, zeigt eine weitere Besonderheit in der Berichterstattung über „moderne“ Kriege: Die Militärs lassen sich nicht mehr bei der „Arbeit“ beobachten. War es in Vietnam noch üblich, Journalisten mit in die Militärhubschrauber zu nehmen, findet seit der US-Invasion in Grenada das militärische Geschehen unter völligem Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt.

Bereits der Golfkrieg, mit seinen Bildern von irakischen „Zielen“ im Fadenkreuz von Bomberflugzeugen, zeigte die Auswirkungen dieser Zensur auf die Berichterstattung. Beim Jugoslawienkrieg wiederholte sich das Spektakel. Startende und zurückkehrende Nato-Bomber blieben die einzigen von unabhängigen JournalistInnen aufgezeichneten Kriegsbilder. Alle anderen O-Töne, Bilder und „Informationen“ des direkten Kriegsgeschehens waren nicht von JournalistInnen vor Ort recherchiert worden, sondern stammten aus den Propagandaabteilungen der Kriegsteilnehmer. In den meisten Fällen war die Quelle das Nato-Hauptquartier, gelegentlich auch das Militär in Belgrad. Die ReporterInnen vor Ort lieferten Bilder von Flüchtlingen, von Kindern, Alten und Frauen – Bilder von Kampfhandlungen hatten sie nicht.

Manchen JurorInnen in Bayeux war das zu wenig. „Das ist Flüchtlingselend, aber keine Kriegsberichterstattung“, bemängelte ein US-Journalist, der schon Vietnam „gemacht“ hat – als „Reporter“, wie er selbst sagt: „Ein Kriegsberichterstatter muss nah rangehen, muss Kampfszenen zeigen, muss ein Risiko eingehen. Das muss dieser Preis honorieren.“

„Die Arbeit für Kriegskorrespondenten ist schwerer geworden“, stellte Gerd Ruge bei der Preisverleihung in Bayeux fest. Der frühere ARD-Korrespondent in Washington und Moskau, der dieses Jahr den Vorsitz der JournalistInnenjury hatte, beschrieb, dass es seit dem Ende des Kalten Krieges keine klaren Fronten mehr gibt, dass die Zahl der schwer zu erklärenden regionalen Kriege ständig zunimmt, und dass die BerichterstatterInnen selbst immer häufiger zu Kriegsopfern werden. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ lieferte die Zahlen: Mehr als 20 JournalistInnen sind im vergangenen Jahr ermordet worden. Nie waren es so viele.

Einer dieser Toten bekam in diesem Jahr postum den Prix de Bayeux in der Kategorie Printmedien: Stern-Reporter Gabriel Grüner, der wenige Stunden nach dem Ende des Jugoslawienkrieges im Kosovo zusammen mit seinem Fotografen und seinem Übersetzer auf bislang ungeklärte Weise umkam, hatte eine Reportage aus dem Hungergebiet im Südsudan eingereicht.

Das Thema Kosovo gewann einzig in der Disziplin Radio – in der es keinen einzigen Wettbewerbsbeitrag zu einem anderen Krieg gab – den Prix de Bayeux (Isabelle Dor, France Info). In allen anderen Disziplinen bevorzugten die JurorInnen exotischere Konflikte. Beim Fernsehen fiel die Entscheidung auf einen Beitrag über Sierra Leone (Fergal Keane, BBC), der abgehackte Hände und Arme, ausgebrannte Häuser und Rebellen, sowie Regierungstruppen in Aktion zeigt. Dass auch diese Reportage die Hintergründe des blutigen Konfliktes in Sierra Leone kaum erklärte, störte nur vereinzelte JurorInnen.

Bei den Fotos gewann eine Reportage aus Indonesien (James Nachtwey, Magnum) den Prix de Bayeux. Seine Serie „Abstieg in die Hölle“ zeigt eine mit Holzscheiten bewaffnete Gruppe, die einen Mann zu Tode knüppelt. Im letzten Bild setzt einer der Täter sein Messer an die Kehle des Opfers. Er blickt dabei in die Kamera.

Die Rolle des Fotoreporters bei dieser Lynchszene kam in Bayeux nicht zur Sprache. Die Frage, ob das Opfer eine Überlebenschance gehabt hätte, wenn der Fotoreporter weggegangen wäre, interessierte nur wenige Jurymitglieder.