Land unter am Wüstenrand

Das Weltklima verändert sich, im Trockengürtel Afrikas regnet es mehr als früher. Eine Wohltat? Nicht für die Bewohner der Slums von Saint-Louis, einer Stadt in Senegal am Rande der Sahelzone. Seit sechs Wochen leben sie unter Wasser    ■ Aus Saint-Louis Veronika Eggersglusz

Dieses Jahr hat es geregnet wie seit Jahrzehnten nicht. „Wir haben immer gebetet, dass Gott uns mehr Wasser schenkt. Jetzt gibt er uns zu viel.“

Es stinkt. Bis über die Knöchel reicht die blassgrüne Brühe aus Regen, Grund- und Abwasser. Auf Steinen aufgebockt, knapp über der Oberfläche, steht das Bett von Sérigne Elimane Khouma. Seit fast sechs Wochen lebt er im Wasser.

Während senegalesisches und französisches Militär mit großem Einsatz versuchen, die Kolonialvillen im historischen Stadtkern von Saint-Louis vor den Fluten zu schützen, wartet Khoumas Familie vergeblich auf Hilfe. Die rund 50-köpfige Großfamilie lebt in Pikine, einem Vorort an der Ortseinfahrt der einst als „afrikanisches Venedig“ gerühmten Stadt im Senegal. Rund 60.000 Menschen wohnen hier, doch auf den Karten existiert Pikine nicht. Offiziell gilt es als „spontane Ansiedlung“; es entstand in den 70er Jahren.

Über einen halben Meter tief steht das Wasser in den Straßen. Neben einer alten Teekanne schwimmt ein kleiner Fisch kieloben. An den Mauern der Häuser haben sich Abfälle im grünen Schaum angesammelt. Dazwischen spielen die Kinder von Khouma. Aus Angst vor Plünderern will er sein Haus nicht verlassen. „Wir haben schon fast alles verloren. Wir wollen nicht, dass uns auch noch der Rest gestohlen wird.“

Und selbst wenn, wüsste er nicht, wohin. Die wenigen Schulen im Ort sind schon überfüllt. Zelte gibt es nicht. So schlafen Khouma und seine Verwandten an der „Route Nationale“, der erhöhten Einfahrtstraße nach Saint-Louis, unter freiem Himmel.

Zahlreiche Matratzen liegen hier am Straßenrand oder auf Autowracks. Nur wenn es regnet, kehrt die Familie nachts in ihr Haus zurück. Gekocht und gegessen wird jedoch meist in den überfluteten Räumen. „Fast alle Kinder sind krank“, erzählt Khouma. Malaria, vermutet er. Machen kann er dagegen nichts. Er hat kein Geld für Medikamente.

Auch andere Epidemien können sich hier ausbreiten. Khouma zeigt seine Füße. Schon an mehreren Stellen hat er sich an spitzen Gegenständen in der undurchsichtigen Brühe geschnitten. Die Wunden entzünden sich sofort.

Einmal, in den ersten Tagen der Überflutung, wurden Insektizide versprüht. Doch da ständig neues Wasser nachkommt, müsste es eigentlich alle zwei bis drei Tage desinfiziert werden. Gemacht wird dies nicht. So können sich Moskitos, Bakterien und Mikroben ungestört vermehren.

Die zweijährige Fatou hat hohes Fieber. Die Tochter von Ibrahima Dioup wohnt auf der anderen Seite der „Route Nationale“. Hier sind die meisten Wege trocken. Doch in dem Haus von Dioup steht das Wasser knöcheltief. „Jeden Morgen schöpfen wir das Wasser raus, aber es fließt immer wieder nach, aus dem Boden“, erläutert er und zuckt mit den Achseln. Der Grundwasserspiegel ist so stark angestiegen, dass die tiefer gelegen Häuser förmlich von unten überflutet werden.

Hilfe vom Staat erwartet Dioup nicht. „Die Regierung ist doch schuld an dem ganzen Desaster.“ Schließlich sei die Katastrophe absehbar gewesen, spätestens seit 1994, als Pikine zum ersten Mal nahezu komplett überflutet wurde. Zwar seien am Anfang einige Sandsackbarrieren errichtet worden und die Feuerwehr habe Wasser abgepumpt, „dort hinten, hinter der Moschee“, doch Dioup hält davon nichts. „Die machen das nur, um die Leute zu täuschen.“

Der Augenschein gibt ihm Recht. Die meisten aufgetürmten Sandsäcke sind von Wasser umspült, und auch das Abpumpen hatte wenig Sinn, da das Wasser zurück in den Fluss gepumpt wurde, wo es hergekommen war.

Hauptursache der Überschwemmungen sind die starken Niederschläge in der gesamten Region entlang des Senegal-Flusses. In Saint-Louis sind solche Überschwemmungen nichts Ungewöhnliches. Das Wasser ist der Reiz der Stadt, aber auch ihr Schicksal. Sie liegt auf einer schmalen Landzunge mit einer Breite von teilweise nur 200 Metern zwischen dem Atlantik und dem Mündungsbereich des Senegal-Flusses. Der Strom, der durch das gleichnamige Land fließt, bildet im Norden Senegals die Grenze zu Mauretanien. Während der Regenzeit zwischen Juni und September schwillt er teilweise bis auf eine Breite von 20 Kilometern an.

Seit Anfang der 50er-Jahre gab es in Saint-Louis immer wieder Hochwasser. Es folgte eine lange Trockenperiode zwischen 1970 und 1990. In dieser Zeit flüchteten viele Menschen vor der Dürre aus ihren Dörfern im Norden des Landes in die Stadt. Sie siedelten sich dort an, wo noch Platz war; auch in Gebieten, die zuvor als Überflutungsflächen dienten.

Aber neuerdings regnet es wieder mehr als früher. Dieses Jahr hat es so viel Regen gegeben wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Eine alte Frau erzählt: „Wir haben immer gebetet, dass Gott uns mehr Wasser schenkt. Jetzt gibt er uns zu viel.“

Vor zehn Jahren schon hatten die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Weltbank rund sieben Millionen Mark für die Umsiedlung der in den gefährdeten Regionen lebenden Menschen zur Verfügung gestellt. Aber keiner weiß, wo das Geld geblieben ist.

Die Arbeiten zum Hochwasserschutz, die nach den letzten Überschwemmungen vor fünf Jahren in Angriff genommen wurden, hatten eher symbolischen Wert als einen tatsächlichen Nutzen. Im Februar dieses Jahres wurden sie komplett eingestellt.

Die Maßnahmen erwiesen sich ohnehin als vollkommen unzureichend. Die Kaimauern, die errichtet wurden, sind viel zu niedrig und zu schwach, um dem Druck standzuhalten. Zwei Anfang der 90er-Jahre am Senegal-Fluss fertig gestellte Staudämme sind mit den heranströmenden Wassermassen überfordert. Derzeit müssen sie alle paar Tage ihre Pforten öffnen, um ein Überlaufen zu verhindern.

Ein anderes Projekt ist aus politischen Gründen gescheitert. Die Regierung Mauretaniens verweigert die Umleitung des Wassers aus dem nahe der Mündung gelegenen Diane-Stausee in ein von Dürre geplagtes Tal in Senegal. Sie gönnen ihrem Nachbarland nicht die alleinige Nutzung des wertvollen Guts.

Internationale Hilfe für die Opfer der Fluten blieb bislang fast vollständig aus. Einzig eine Initiative in Mali stellte einige verbilligte Medikamente zur Verfügung. Selbst die lokalen Politiker zeigen sich gleichgültig. „Der Gouverneur hat gesagt, er habe keine Zeit vorbeizukommen“, erzählt Demba Diallo, der ebenfalls in dem überfluteten Gebiet wohnt.

Es fehlt an Geld und Durchsetzungswillen. Eine Initiative, die sich anlässlich der aktuellen Lage in Saint-Louis gebildet hat, veröffentlichte in der vergangenen Woche eine Liste von notwendigen Maßnahmen, um die Stadt vor weiteren Überschwemmungen zu schützen. Deiche und Kaie müssten errichtet und stabilisiert und das Flussbett vertieft werden. Die Umstrukturierung von Pikine und der Bau von Kanälen zur Umleitung des Wassers müssten endlich begonnen werden. Kurzfristig benötigten die Menschen vor allem Sandsäcke, Medikamente und Brennstoffe.

Nun hat Senegals Tourismusminister Tidiane Sylla in der vorletzten Woche, rund einen Monat nach den ersten Überschwemmungen, umfangreiche Maßnahmen für eine dauerhafte Lösung des Problems angekündigt. „Wir haben davon im Radio gehört, doch 1994 haben sie dasselbe versprochen“, sagt Dioup. „Gesehen haben wir bis heute nichts.“ Reine Propaganda sei es. Schließlich sind in vier Monaten Präsidentschaftswahlen. „Die haben doch im Moment gar kein Geld“, meint Dioup. „Die brauchen doch alles für ihre Wahlkampagne.“

Khouma glaubt nicht mehr daran, dass sich seine Situation bessern wird. Ihm und den anderen Menschen dort bleibt nichts anderes, als zu warten, bis das Wasser von alleine zurückgeht. „Vielleicht in einem Monat oder in zwei, niemand weiß es“, sagt der resignierte Ibrahima Dioup. Drei seiner sechs Kinder haben Malaria. „Sie werden es schon schaffen. Inschallah – so Gott es will.“