Louder than you think

Große Einzelgänger: Sind Pavement für die 90er, was REM für die 80er waren?  ■ Von Felix Bayer

Pavement sind die großartigste Rockband der Neunziger“, schrieb der amerikanische Kritikerguru Robert Christ-gau kürzlich. Und obwohl man nach Nirvana, Oasis oder seinem eigenen kleinen Favoriten schreien will, hat der Mann vielleicht nicht ganz unrecht: Der eigene kleine Favorit zählt nicht, weil man selbst ja kein Kritikerguru ist. Oasis zählen nicht, weil sie wohl doch mehr Pop- als Rockband sind. Und Nirvana? Zählen schon, aber sie haben auch nur eine so richtig gute Platte gemacht. Vielleicht also doch Pavement. Die waren zumindest das ganze Jahrzehnt über da.

1990 brachte die englische Schrammelpopband Wedding Present die Single „Brassneck“ heraus, auf deren B-Seite sie das Lied „Box Elder“ coverten, von einer Band aus Stockton, California namens Pavement. Die kannte hier keiner. Zwei Jahre später war das schon anders: Pavement spielten in der Kleinen Markthalle. Die Band hatte diesen verrückten Schlagzeuger, der klare Prioritäten setzte: Lieber einen ordentlichen Handstand vorführen, als den Beat zu halten. Vorne am Mikrofon stand ein Sänger mit der Sorte asymmetrischer Frisur, die wir bald von Tocotronic und ihren Fans noch öfter sehen sollten, und schien etwas genervt von dem durchdrehenden Althippie. Doch das Publikum sympathisierte mit dem Mann, der nach dem Konzert vor der Markthalle stand und sich per Handschlag von jedem Zuschauer verabschiedete und für den Beifall dankte.

Gary Young hieß der Schlagzeuger, Pavement hatten ihn in die Band aufgenommen hatten, weil er halt ein Studio hatte. „Louder Than You Think“ hieß das, und dort wurde auch Slanted & Enchanted aufgenommen, das Debütalbum von Pavement von 1992. Sieben Jahre später taucht diese Platte in den Zeitschriften auf, die etwas vorschnell schon die besten Platten der Neunziger küren. „Es ist schön, für etwas bekannt zu sein“, kommentiert Sänger Stephen Malkmus, „selbst wenn es ein LoFi-Album mit The Fall-Nachahmungen ist“. Auch ohne Gary Young, der gefeuert wurde, weil ihm die Begeisterung über sein Bühnengebaren zu Kopf gestiegen war, wurden Pavement zum schlau idiosynkratischen Gegenentwurf zum authentizitätssüchtigen Leiden des Grunge. Erst recht, nachdem sie 1994 auf ihrem balladesken zweiten Album Crooked Rain, Crooked Rain die Smashing Pumpkins und Stone Temple Pilots dissten – zu allem Überfluss leichthin und ohne wütenden Gestus. Seitdem erschienen zwei weitere status-sichernde, aber wenig erneuernde Alben.

Doch 1999 reißen sich Pavement noch mal richtig zusammen: Das Album Terror Twilight ist voller entzückend sanftmütiger Popsongs. Es klingt zwar unverwechselbar nach Pavement, aber unglaublich weit entfernt vom furios zappeligen Slanted & Enchanted. Vielleicht sind Pavement, wie die englische Wochenzeitung The Observer meinte, für die 90er, was R.E.M. für die 80er waren: Eine einzelgängerische Band, die von Platte zu Platte bekannter wird. Danach müssten sie im nächsten Jahrzehnt Weltstars werden. Daran mag Stephen Malkmus aber nicht recht glauben: „Ob wir Hits haben oder nicht, macht mir wirklich keine Sorgen. Ich habe aber nichts dagegen, von der Musik leben zu können. So kann ich ungestört künstlerisch tätig sein und man sagt mir, ich sei toll. Gelegentlich zumindest.“

So gefallen sich Pavement lieber darin, die selbsternannten besten Scrabblespieler des Rockgeschäfts zu sein. Ihre größte Rockstar-Extravaganz ist der Besitz eines Rennpferdes namens „Speedy Service“. Und dass ihr Hamburger Konzert vom Docks in die Markthalle verlegt wurde, ist ihnen vermutlich auch herzlich egal. Es gibt nur ein Jahrzehnt, in dem die großartigste Rockband der Dekade so sein durfte: die Neunziger!

mit Kreidler: So, 31. Oktober, 20 Uhr, Markthalle