Schweigend aber zügig ins Schlafzimmer

■ (Fast) neu im Kino 46: „Tod ziens“ aus Holland zeigt eines der liebenswertesten Liebespaare des Kinos

Gestern Ally McBeal gesehen. Da diskutiert Ally zehn Minuten lang seminarhaft mit ihrer Kollegin, ob es schicklich und erlaubt sei, mit seinem Ex-Mann ein Tänzchen zu wagen; da könnten ja alte Gefühle ... Anschließend diskutiert diese Kollegin mit diesem Ex, ob ein Kuss zur Erinnerung moralisch einwandfrei wäre. Ergebnis, negativ. Die Welt will einfach nicht einfacher werden.

Laura und Jan aus „Tod ziens“ (Tschüss, 1995) haben derlei Probleme nicht, zunächst nicht. Schließlich ist die Liebe dazu da, um ihr nachzugeben. Die sonst oft so komplizierte Strecke vom allerersten Umdrehen nacheinander bis zum Umdrehen des Wohnungsschlüssels bewältigen sie souverän, verspielt und vor allem zügig: Lächeln, Umkreisen, Überholen – und Kniefall, ach ja, wir befinden uns auf einer Eislaufbahn, mitten am Nachmittag, und Jan und Laura sind keine Schlittschuhcracks. Blinzeln, Stirnerunzeln, Mundwinkelkreisen auf zwei erstklassigen Schauspielergesichtern zieht Jan, Laura und mit ihnen den Kinozuschauer ganz tief in die Welt des Hoffens, Sehnens und Erlösens hinein. Im Unterschied zu Ally McBeal fällt dabei kein einziges, noch so kleines Wort.

In diesem anrührenden Film der Holländerin Heddy Honigmann funktioniert alles physisch und optisch. Und das, obwohl er angesiedelt ist in dem für viele Menschen nicht so wahnsinnig attraktiven Milieu der bekennenden Fahrradfahrer und ungeschminkten Anorakträger. Ist im Hollywoodfilm meist Erotik, Glamour und Hightech unrettbar miteinander verbunden, wird hier die Liebe in uralte, unschicke Münztelefonapparate gestöhnt. Beim ersten Aufeinanderprall müssen sich die beidenerstmal durch dicke Schichten von Goretex und Wollmaterial durcharbeiten.

Danach fallen dann die ersten Worte. Eine unnachahmliche Dialogsequenz: „Hast du Durst? – Ja. – Ich geh was holen. Ich heiße übrigens Laura. – Ich Jan – Ah, du bist Belgier – Ich bin verheiratet. – Glücklich? – Ja.“ Staunen, Wegrücken, Schluchzen, Umarmen, Lachen, Blende.

Zum Glück hat dieser Film kaum Interesse an der moralischen Frage. Er reflektiert eher wenig, was ein Mann tun oder nicht tun kann, der seine Ehefrau lieb hat und eine andere heiß begehrt. Er begnügt sich damit, das Zucken der Seelen und Gesichter in dieser auswegslosen Situation zu zeigen. Und natürlich benutzt er diese nachgerade antikische Auswegslosigkeit als Droge. Es ist wie bei Zeno Cosinis Zigarettensucht: Jedesmal ist das letzte und deshalb das schönste Mal. Das ewige Pendeln zwischen Entzug und Rückfall hat noch keine Sucht gemildert.

Der Film wurde gedreht von einer Frau. Das heißt, Jan leidet genauso unter der unglücklichen Konstellation wie Laura, krümmt sich am Sofa, zittert am Telefon. Und Laura werden ebenso wie Jan Gesten der Nonkonformität zugebilligt, etwa wenn sie im Restaurant ihre Bluse öffnet oder seltsame Dinge zu Telegrafenbeamten sagt. Ein Stärke-Schwäche-Gefälle existeiert nicht. Auch dafür bekam der Film beim Filmfest Locarno einen brozenen Leoparden. bk

Kino 46, Do-Fr 18.15, Mo-Di 20.30