Mit Leo und Wim von Mao zu Bogart

■ Wer hilft China, die Steine ertastend den Fluss zu überschreiten?

Im ausverkauften Shanghaier „Tempel des flimmernden Vergnügens“, dem größten Kinopalast der Volksrepublik China, brachten 5.200 begeisterte Zuschauer minutenlang Standing Ovations. Grund ihres ganz unchinesischen Emotionsausbruches: Eben war Romy Schneider als „Sissi“ über die Leinwand geschwebt – und die Chinesen von der Alpentraum-Prinzessin völlig hingerissen.

Kurt Marischkas Edelschnulze scheint nach entbehrungsreichen Jahrzehnten mit Filmen wie dem „Mädchen aus der Volkskommune“, dem „Roten Frauenbataillon“ oder gar einem „Eimer Mist“ genau den Nerv der ausgehungerten Chinesen von 1999 zu treffen.

Und zum 50. Geburtstag der Volksrepublik wollen die Pekinger Kulturfunktionäre nun auch den ideologischen Überbau ihrer Genossen auf westliches Niveau trimmen. Nachdem sich China im Bereich der Wirtschaft längst kapitalistischen Produktions- und Managementmethoden geöffnet hat, scheint ihnen die Zeit reif für eine vorsichtige Annäherung im Bewusstseinssektor. Und was wäre dazu besser geeignet als das Medium Film, mit dem sich das Denken des Volkes nach neuchinesischer Sehart am leichtesten von Mao zu Bogart bekehren lässt. Deshalb ist die seit dem Massaker vom Tiananmen-Platz vorsichtiger gewordene chinesische Führung seit einigen Jahren dabei, „die Steine ertastend den Fluss zu überschreiten“.

Hilfestellung auf dem rutschigen Weg gen Westen erhoffen sich die Pekinger Kunst-Genossen von der deutschen Filmwirtschaft – der erste Schritt ist schon gemacht: Auf dem diesjährigen Filmfest München handelten sie mit dem Filmhändler Leo Kirch einen Deal aus, der deutsch-chinesische Filmgeschichte machen könnte, und erfuhren, dass der Münchner Medien-Mogul eine ganze Partie noch gut erhaltener deutscher Kinoknüller abzugeben habe. Nachts um vier, nach etlichen Weißbierrunden, war der Handel perfekt: Für den vergleichsweise lächerlichen Betrag von 1,5 Millionen Yüan kommt ein Paket mit den klangvollsten Namen der deutschen Filmschaffenden samt den Rechten zur Auswertung der ungeschnittenen Filmreste auf den chinesischen Markt. Ausverkauf oder filmische Entwicklungshilfe? „In China hat Kino noch Zukunft. Das Land gleicht einem ausgetrockneten Schwamm“, urteilt Leo Kirch, „wer da als erster seinen Fuß in den sich öffnenden Türspalt bringt, kann noch manches Paket schnüren.“ Freilich ist Kirch auch heilfroh, deutsche Kinogrübeleien, die er als Zuwaage bei früheren Deals mitgeliefert bekam und für die er hierzulande kaum Abnehmer fand, endlich loszuwerden. „Seelenmüll-Entsorgung“ heißt das dann in der Vorstandsetage des Film-Dealers.

Was bleibt? Deutschen Autorenfilmern bietet sich nun die enorme Chance, in Zukunft über einer Milliarde Chinesen die Macht der Gefühle zu lehren: Alexander Kluge plant bereits eine Koproduktion mit der staatlichen Filmgesellschaft „Eiserne Kurbel“. Titel des waghalsigen Recycling-Projekts: „Die Rotgardisten in der Zirkuskuppel – ratlos“.

Auch Wim Wenders, der von der chinesischen Jugend unter dem Namen Wim Wen begeistert als Personenkult-Regisseur gefeiert wird, dreht zur Zeit großes Gefühlskino in „Chinemascope“: „Der Himmel über Peking“ ist eine zartbittere Romanze zwischen einer blutjungen Pralinendreherin im Süßwarenkombinat „Morgenröte“ und einem deutschen Arzt ohne Grenzen – eine einfühlsam schmelzende filmische Etüde über die Liebe.

Eine Genugtuung ist den deutschen Film-Entwicklungshelfern schon sicher: Wenn Meister Wens Film im Frühjahr 2000 mit 4.800 Kopien im Reich der Mitte anläuft, wird es weit über hundert Millionen „Chineasten“ geben – eine Zahl, von der er hierzulande nur träumen kann. Rüdiger Kind