Buch Matthäus: Noch 65 Tage

■  Der PSV Eindhoven erniedrigt Lothar und seine lethargischen Bayern mit 2:1

Eindhoven (taz) – Gongschlag 2000 wechselt der große Lothar Matthäus zu den New Jersey/New York MetroStars. Am Dienstagabend wurde die Bilanz seiner Weltkarriere um ein aufregendes Kapitel erweitert. Ein Kapitel mit etlichen vollgeschriebenen Seiten, das auch in der langen Geschichte deutsch-niederländischer Sportbeziehungen einen angemessenen Platz finden wird.

Kurz vor Mitternacht war es schon, als der Bayern-Bus abfahrbereit vor dem Philips-Stadion stand. Eine Hundertschaft Sicherheitskräfte musste ihn vor einer Hundertschaft freudetrunkener PSV-Fans schützen. „Fräulein Matthäus“ skandierten sie, abgewechselt von „Lothar Hitler“ und „Jetz geht's lous, Matthäous ...“. Dann verfügte Bayerns Pressewart Markus Hörwick herrisch „Machen Sie die Leute hier weg“, und der Bus machte sich unter weiteren Kaskaden von Verhöhnungen („Schade, Lothar, alles ist vorbei“) selbst weg. Der hasspralle Abgesang war das Finale eines aufregenden Abends rund um den 38,6-Jährigen.

Sicher, außer Matthäus spielten noch andere Bayern mit. Zum Beispiel ein grandioser Amateur-Vierttorwart Stefan Wessels (20), oder ein Markus Babbel, dessen bewegungsfreie Tätigkeit in jeder anderen Branche die fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung nach sich gezogen hätte. Oder ein Jens Jeremies, der in der Nachspielzeit seinem darnieder liegenden Gegenspieler in brachialer Ekelhaftigkeit auf das Knie trat und, weil ihn die aufgebrachte Menge am liebsten gelyncht hätte, mit Rot gut bedient war. Aber sonst: Lothar Matthäus.

In den Niederlanden ist er noch unbeliebter als anderswo und gilt als ausgemachter Prototyp des hässlichen Deutschen. Auch weil er in all den Jahren zu mancher Demütigung holländischer Gegner beigetragen hat. Aber auch, weil er, wie PSV-Manager Frank Arnesen sagte, „oft provoziert, oft und gern polarisiert“. Matthäus' loses Mundwerk ist Legende, und man erinnert sich im Nachbarland bestens an das Oktoberfest 1996, als er einen pöbelnden Holländer beschied, Adolf habe ihn wohl zu vergasen vergessen. Bei jedem Ballbesitz wurde Matthäus 28.000-fach ohrenbetäubend ausgebuht und bei jedem Fehlpass frenetisch bejubelt.

Doch das war nur die Begleitmusik zum mutmaßlich lautesten Abstoß, den der Bayern-Vormann wohl je ausführen durfte. Provoziert von urdeutschen Tönen aus dem kleinen Münchner Fanblock („Bayern ist toll – jawoll, jawoll“), schwoll der Choral der Angewiderten in der 20. Minute zu einem neuen Ur-Geräusch: kein Buhen mehr, kein Pfeifen, sondern für einen Moment ein ohrenbetäubender kollektiver Hass-Schrei. Archaisch, angsteinflößend, unheimlich. Einige hinterm Bayern-Tor sprangen dabei völlig von Sinnen mit Anlauf gegen die Zäune. Und sie warfen nach ihm: mit Feuerzeugen, Dosen, Münzen, dazu Obst und Gemüse – die ganze Palette des Agrarlandes Holland. Im niederländischen Fernsehen hieß es, Matthäus könne „jetzt einen Gemüseladen aufmachen“.

Eine besondere Liebe besteht zwischen Matthäus und PSV-Coach Erik Gerets. Der 45-Jährige hatte schon bei der Auslosung gesagt: „Die Bayern schlagen wir, und wenn ich selbst noch mal auf den Platz muss.“ Dorthin wollte ihn Matthäus wohl zerren in der Schlussminute, als er auf Gerets losging und eine veritable Rangelei aller Spieler und Betreuer auslöste. Im Kabinengang ging es weiter mit Handgreiflichkeiten. „Ein leichtes Scharmützel“, berichtete Gerets später, „zwei leichte Schubser.“ Mit wem? Einmal darf man raten: „Ich bekam einen und gab einen.“ Und grinste maliziös aus seinen Knopfaugen in einer Mischung aus Triumph und spöttischer Genugtuung.

Und Lothar Matthäus sprach hernach im niederländischen Fernsehinterview: „In Holland wird viel Stimmung gegen mich gemacht. Was ich kann, weiß ich. Das lasse ich mir von niemandem kaputt machen und kaputt schreiben.“ Zack, da ging – der Zufall ist gebürtiger Holländer – das Scheinwerferlicht aus. Aber auch im Dunkeln schweigt ein Lothar Matthäus nicht: „Sehen Sie, ja ja, in Holland ist alles Spitze.“ Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld urteilte verbittert: „Über Gerets ist jedes Wort überflüssig.“ Schwer angefressen log er auch noch nach der Abfuhr: „Gegen Glasgow haben wir jetzt das Endspiel, das wir immer wollten.“

Eines scheint sicher: Eher gewinnt Außenseiter Eindhoven in diesem Jahr noch die Champions League, als dass Erik Gerets und Lothar Matthäus auch nur einmal beim Shakehands zu sehen wären. Obwohl: Nachher sagte Gerets, vielleicht werde er sogar eines Tages „mit dem Matthäus in New York mal ein Bier trinken“. Aber dann war da wieder dieses kurze Grinsen, und der Belgier leerte genüsslich sein zweites Stella Artois. Ohne seinen Lieblings-Deutschen. Bernd Müllender
‚/B‘„Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?“ (Matthäus 3,7)

PSV Eindhoven: Waterreus - Faber, Dirkx, Addo, Heintze - Stinga, Van Bommel, Vogel, Kolkka (88. Iwan) - Nilis (72. Bruggink), Van Nistelrooy

Bayern München: Wessels - Matthäus - Andersson, Linke - Babbel (68. Salihamidzic), Jeremies, Effenberg, Lizarazu - Sergio (26. Santa Cruz), Elber, Zickler (74. Jancker)

Zuschauer: 28.000; Tore: 1:0 van Nistelrooy (39.), 1:1 Santa Cruz (51.), 2:1 Nilis (57.)

Rote Karte: Jeremies (90.) wegen Tätlichkeit