Kriegsbeute rechtmäßig „ersessen“?

■ Prozessauftakt gegen den Notar, der ein Mosaik aus dem Bernsteinzimmer verkaufen wollte / Hat der „Erbe“ des Wehrmacht-Soldaten das geraubte Mosaik rechtmäßig „ersessen“?

Die Geschichte vom Auftauchen des „vierten Mosaiks“ aus dem legendären Bernsteinzimmer im Palais von Zarskoje Selo ist genau so verschlungen wie die von seinem Verschwinden. Am 13. Mai 1997 kam ein Mann aus Berlin, auf dessen Visitenkarte etwas von Baufirma „WWW“ stand, zu dem Bremer Notar Manhard Kaiser in die Sögestraße, mit ihm ein Kunstsachverständiger. Nachdem der Kunstkenner sich über ein Stein-Mosaik gebeugt und den Eindruck gewonnen hatte, dass es sich um das seit 56 Jahren verschollene vierte Mosaik aus dem Bernsteinzimmer handele, zückte der vorgebliche Käufer seinen Dienstausweis: Notar Kaiser war einem Lockvogel der Kripo auf den Leim gegangen.

Gestern saß der Notar auf der Anklagebank vor der großen Bremer Strafkammer. „Versuchten Betrug“ wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, „ein besonders schwerer Fall“. Denn das Mosaik sei im Krieg von deutschen Soldaten in Russland geraubt worden, der Notar habe als Vermittler des Geschäftes gegenüber Käufern aber versichert, es handele sich um rechtmäßig „ersessenes“ Eigentum.

Das seien alles „hypothetische Unterstellungen“, konterte der Verteidiger des Notars, der frühere Innensenator Ralf Borttscheller. Es gebe keinerlei „hinreichenden Tatverdacht“. Denn der Mandant des Notars Kaiser, ein inzwischen verstorbener Hans A., habe das Mosaik 1978 auf dem Speicher gefunden, als er sein Erbe – das Haus seines Vaters – ausmistete. Im guten Glauben, es sei sein Erbstück, habe er das kiloschwere Bild im Wohnzimmer an die Wand gehängt.

Erst 1990 habe er einen ZDF-Film über das Bernsteinzimmer gesehen und überrascht Ähnlichkeiten zu dem festgestellt, was bei ihm an der Wand hing. Noch später habe er den Nachlass gesichtet und dabei auch ein Foto gefunden, das seinen Vater in den Trümmern des Palais von Zarskoje Selo zeigt.

Der verstrichene Zeitraum zwischen 1978 und 1990 ist rechtlich entscheidend – das konnte der Besitzer des Bernstein-Mosaiks allerdings nicht wissen: Wenn jemand zehn Jahre lang „gutgläubig“ einen Gegenstand besitzt, gilt der als „ersessen“ und ist sein Eigentum, selbst wenn sich danach herausstellen sollte, dass es Diebesgut ist.

Die Frage, die das Gericht also in den Verhandlungen, die bis in den Januar terminiert sind, klären muss: Hatte der Mann wirklich ausgerechnet elf Jahre lang sich nicht dafür interessiert, welches schwere Stück mit Gold und Edelsteinen er da an der Wand hängen hat? Hatte der Vater, der im Krieg in Russland war, wirklich nie über die Herkunft seiner kostbaren Russland-Beute geredet? War der Notar ahnungslos just bis zu dem Zeitpunkt, an dem die 10-Jahresfrist abgelaufen war?

Er selbst habe keinen Grund gehabt, den Angaben seines Mandanten zu misstrauen, erklärte der Notar Kaiser vor Gericht. Und er habe eigentlich auch einen „Käufer“ gesucht, der das Mosaik werbewirksam an Russland zurückgeben würde. Man habe an Firmen wie Coca Cola, die sich möglicherweise geschäftliche Vorteile von einer derartigen PR-wirksamen Geste für ihre Russland-Geschäfte versprechen, gedacht. Solange war das Mosaik in der Privatwohnung des Notars aufbewahrt. Über mehrere Mittelsmänner hatte er das Mosaik angeboten, unter vollkommener Geheimhaltung sollten zwei Millionen Dollar nach Bremen fließen – die Differenz zum erzielten Kaufpreis hätten die Mittelsmänner behalten können. Der erste ernsthafte Interessent war die Kripo. K.W.