Vom Wohlstand zum Wohlbefinden

■  Beate Blättner, Sprecherin des Bundesarbeitskreises Gesundheit an den Volkshochschulen, über soziale Unterschiede und Gesundheitschancen, den aufgeklärten Patienten und geschlechterspezifisches Körperempfinden

Aus männlicher Sicht ist der Körper etwas, das man stählen und zu Höchstleistungen trainieren kann

Frau Blättner, beeinflussen soziale Unterschiede heutzutage überhaupt noch die persönliche Gesundheit?

Beate Blättner: Ja, das ist nach wie vor der Fall – ein wichtiger Faktor ist dabei Bildung. Menschen mit höherem Bildungsabschluss haben statistisch die Chance, länger zu leben. Mehr Bildung bedeutet mehr Handlungschancen und Entscheidungsspielräume, zum Beispiel auch am Arbeitsplatz – wenn man tatsächlich noch eine Arbeit haben sollte. Somit ist auch das Nachholen des Hauptschulabschlusses an einer Volkshochschule ein Weg, seine Gesundheitschancen zu verbessern.

Sie haben eine Doktorarbeit geschrieben mit dem Titel „Gesundheit kann man nicht lehren“. Was soll das heißen?

Erwachsene Menschen lassen sich nicht gerne belehren, schon gar nicht, wenn es um ihre eigene Gesundheit geht. Jede Pädagogik, die hier mit dem erhobenen Zeigefinger kommt oder ganz konkrete Ratschläge geben will, ist völlig fehl am Platze.

Der Patient steht vor einem zunehmend unübersichtlichen medizinischen Angebot. Wer kann ihn durch den Dschungel leiten?

In der Regel wird er sich an den Arzt wenden, bei dem er in Behandlung ist. Ist das Vertrauensverhältnis aber gestört, wird es schwieriger, zumal die Interessen von Arzt und Patient unterschiedlich sein können: Wenn sie etwa mit einem Verdacht auf einen Bandscheibenschaden zum Orthopäden gehen und ihn fragen, ob eine Kernspintomografie sinnvoll sei, um den Befund zu erhärten, wird er mit Sicherheit ja sagen. Einerseits wird er sich absichern wollen, um keine falsche Diagnose zu stellen; andererseits muss sich dass Gerät für ihn auch rechnen – und das tut es nur, wenn es ausgelastet ist. Gleichzeitig ist eine solche Untersuchung für den Patienten keinesfalls immer notwendig. Schon bei einem Verdacht auf einen Bandscheibenschaden sind häufig die gleichen therapeutischen Maßnahmen sinnvoll.

Wie kann die medizinische Kompetenz der Patienten verbessert werden?

Es gibt in einigen Städten bereits seit Jahren Patienteninformationsstellen. Sie beschränken sich allerdings in erster Linie darauf, Problemfälle zu beraten, und arbeiten nicht vorbeugend. Die Bundesregierung hat nun verkündet, solche unabhängigen Beratungsstellen bundesweit und flächendeckend einzurichten – ich halte das für eine gute Idee, wobei allerdings begleitende Maßnahmen notwendig sind. Denn es muss auch andere Möglichkeiten geben, sich über gesundheitliche Fragen kundig zu machen, sonst werden diese Informationsstellen schnell überlastet sein.

Die Gesundheitsförderung wurde vor drei Jahren aus dem Katalog der Krankenkassen gestrichen – Selbsterfahrungskurse oder Bauchtanz seien unsinnig, wurde argumentiert. War das eine richtige Entscheidung?

Die Krankenkassen waren und sind ja nicht die einzigen, die Prävention betreiben: Auch die Erwachsenenbildungseinrichtungen und Institutionen des Gesundheitswesens sind hier aktiv – so wurden in den letzten Jahren in vielen Krankenhäusern Gesundheitsschulen eingerichtet. Außerdem haben auch die Krankenkassen nie ganz damit aufgehört, und sie würden sich mit Sicherheit freuen, wenn sie wieder mehr auf dem Gebiet machen könnten. Dass ihr Kursangebot in Misskredit kam, halte ich für unsinnig. Das Beispiel Bauchtanz hat eine bestimmte Art von Männern immer besonders gerne benutzt – ich glaube, denen ist einfach ihre Fantasie durchgegangen. Allerdings ist es notwendig, Qualitätssicherung auch in der Gesundheitsförderung zu etablieren – wenn auch nicht mehr als in der Medizin.

Der Wert Gesundheit wird den Deutschen immer wichtiger. Nach Meinungsumfragen hat er Begriffe wie Wohlstand und Sicherheit abgelöst.

Dieser Trend hat sich aber schon abgeschwächt, weil viele Menschen keine Arbeit mehr haben. Auf der anderen Seite stimmt es, dass bei uns in Deutschland ein gewisses Maß an Wohlstand vorhanden ist – nur dass das allein eben noch nicht Wohlbefinden schafft.

Zugleich ist das weite Feld alternativer Heilverfahren populär geworden. Halten Sie diese Methoden für sinnvoll?

Das Besondere an den alternativen Heilverfahren ist, dass sie weniger zwischen Körper und Psyche trennen als die westliche Medizin. Ich halte diese Methoden für eine sinnvolle Ergänzung zur Schulmedizin – inzwischen gibt es auch integrierende Ansätze, die nicht mehr auf einen Gegensatz abzielen. Die Alternativmedizin ist weder per se gut noch schlecht – bei bestimmten Krankheiten leistet sie aber gute Arbeit.

Welche Stellenwert hat der Bereich Gesundheitsbildung für die Volkshochschulen?

Er hat eine große Bedeutung – fast zwei Millionen Menschen nehmen jährlich die Angebote der Gesundheitsbildung an den Volkshochschulen war. Nach den Fremdsprachen ist die gesundheitliche Bildung damit das zweitgrößte Stoffgebiet.

Und woran liegt es, dass diese Kurse überwiegend von Frauen besucht werden?

Frauen interessieren sich insgesamt sehr viel stärker für ihr körperliches Befinden. Für viele Männer sind der eigene Körper und die Gefühle immer noch tabuisiert. Aus männlicher Sicht ist der Körper etwas, was man stählen und zu Höchstleistungen trainieren kann, nichts, womit Lernprozesse möglich sind. Dass man mit seinem Körper auch sorgsam umgehen sollte, verstehen viele Männer nicht. Interview: Ole Schulz

‚/B‘ Beate Blättner hält bei den Gesundheitstagen den Einführungsvortrag, Fr., 12. 11., 17 Uhr