Eine Schlacht mit Pauken und Trompeten

An der Deutschen Oper in Berlin eskaliert der Konflikt um die Bezahlung der InstrumentalistInnen. Aushilfen werden gemobbt, Vorstellungen fallen aus. Jetzt behauptet das Orchester gar, Mitarbeiter des Hauses hätten eine Violine mutwillig beschädigt  ■   Von Ralph Bollmann

Das übrige Personal, selbst von Sparmaßnahmen betroffen, hat für die Kapriolen der Orchestermusiker wenig Verständnis

Wenn es keine Pause gibt, sagt André Schmitz, hat er schon halb gewonnen. Am Mitwochabend zum Beispiel, beim „Fliegenden Holländer“. Da konnte der Geschäftsführer der Deutschen Oper den aus Prag angereisten Hornisten von seinen Orchestermusikern fernhalten. Er nahm ihn am Eingang in Empfang, ließ ihn hinter verschlossenen Bürotüren in den Frack schlüpfen und schleuste ihn erst gleichzeitig mit dem Dirigenten in den Orchestergraben. Noch während des Schlussapplauses geleitete er ihn wieder zum Ausgang. Der Gast wird wiederkommen: Die Kollegen hatten keine Zeit, ihn zu traktieren.

An der Deutschen Oper hängt wieder einmal der Haussegen schief. Der Westberliner Musentempel ist für einen Skandal immer gut, jetzt aber ist der Konflikt eskaliert wie noch nie. Es geht, wie schon im Vorjahr, um die „Medienpauschale“. Dabei handelt es sich theoretisch um eine Vergütung für Funk- und Fernsehrechte, praktisch aber um eine Zulage zum Gehalt – schließlich hat sich in diesem Jahr noch kein einziges Medium für die mediokre künstlerische Produktion des Hauses interessiert. Vor einem Jahr hatte das Orchester eine befristete Halbierung der Pauschale zähneknirschend akzeptiert. Jetzt steht die Neuverhandlung an. Und wieder nutzt die Musikergewerkschaft DOV die Achillesferse jedes Opernhauses, die für den Spielbetrieb nötigen Aushilfen: Kein einziger Instrumentalist aus ganz Deutschland mag an der Deutschen Oper noch einspringen.

Seit einem Monat sind in der Chefetage des Hauses daher zehn Mitarbeiter damit beschäftigt, die Aushilfen dort anzufordern, wohin der starke Arm der Gewerkschaft nicht reicht – an den osteuropäischen Opernhäusern zwischen Prag und Budapest, Warschau und Bratislava. Durch den Dauereinsatz am Telefon hat Schmitz bislang verhindern können, dass sich die Katastrophe von Anfang Oktober wiederholt. Damals hatte der Orchesterstreik die ambitionierte Produktion der Schönberg-Oper „Moses und Aron“ zu Fall gebracht. Die Premiere hatte mit einer Dreiviertelstunde Verspätung begonnen, die beiden weiteren Vorstellungen waren entfallen. Seither achtet Schmitz peinlich darauf, dass die Aushilfen nicht von ihren Berliner Kollegen bearbeitet werden können. Sonst kommen sie nämlich nicht wieder.

Die Orchestermusiker, die sich im Haus längst abgeschottet und sogar aus dem Personalrat zurückgezogen haben, sehen sich als Opfer. Der DOV-Bundeschef Rolf Dünnwald warf Schmitz brieflich vor, er mobilisiere „Presse und Personal gegen die Musiker“. Der Geschäftsführer bringe „andere Betriebsteile so gegen das Orchester auf, dass Sachschäden zu beklagen und womöglich noch tätliche Angriffe auf die Musiker zu befürchten sind“. Nach der Rückkehr von einem Gastspiel in Italien, habe ein Geiger sein Instrument beschädigt vorgefunden. Das Orchester vermutet Vorsatz. Geschäftsführung und Personalrat beteuern, es handele sich um einen schnöden Transportschaden.

Wie auch immer: Der Vorgang zeigt, wie es um das Klima im Haus bestellt ist. Denn die mehr als 600 übrigen Beschäftigten, längst selbst von Sparmaßnahmen betroffen, haben für die Kapriolen der gut bezahlten Musiker wenig Verständnis.

Chefdirigent Christian Thielemann weilt unterdessen im Ausland. Vermittlungsversuche des scheidenden Intendanten Götz Friedrich, dessen Autorität längst untergraben ist, sind gescheitert. Jetzt hat sich der Leipziger Opernchef Udo Zimmermann eingeschaltet, der in knapp zwei Jahren die Intendanz der Deutschen Oper übernehmen wird. Denn eines ist sicher: Wenn überhaupt, dann kann nur Zimmermann einen neuen Aufbruch im künstlerisch, finanziell und atmosphärisch zerrütteten Haus organisieren. Bis zum Jahr 2001 geht es nur noch darum, ob – und nicht wie – die Oper überhaupt noch spielt.