Opulenz im Abbruchhaus

Ist das denn noch „Nightlife“? Die Pet Shop Boys haben sich vom Clubsound entfernt. Dafür liest Neil Tennant jetzt Architekturbücher und sammelt Kunst  ■   Von Harald Fricke

Auf der Mittelseite im Booklet zur neuen CD hat der britische Fotograf Eric Watson die Pet Shop Boys porträtiert. Einzeln und in Schwarzweiß. Chris Lowe hat seine Sonnenbrille aufbehalten und zieht die übliche Flunschlippe. Neil Tennant dagegen wurde markant im Seitenprofil abgelichtet. Mit hochgespitztem Stehkragen und wild onduliertem Haar sieht der singende Teil des Duos wie ein Doppelgänger von Franz Schubert oder irgendeinem anderen Romantiker aus. Addiert man die Kostümwechsel – Samuraigewänder, Bomberjacken aus mauvefarbener Seide, Mao-Mützen und Kosakenkappen – hinzu, die im Begleitheft zu „Nightlife“ noch folgen, dann fügt sich das visuelle Konzept hervorragend in die Musik: Willkommen im Sound der Prächtigkeit.

Nur die Kulissen, in denen man sich fürs Fotoshooting eingerichtet hat, wollen nicht recht mit der Opulenz des Styles zusammengehen. Designermöbel stehen in Abbruchhäusern, und graue Abflussrohre ziehen sich an Fabrikgebäuden entlang. Auf dem Cover dann ein grob kastenförmiges U-Bahn-Abteil und dazu die verwischten Gesichter von Tennant/Lowe: Das Nachtleben, in dem ihre zwölf neuen Songs angesiedelt sind, hat wenig mit der Gegenwart von Parties, Clubs und Minimal-Techno gemeinsam. Die eigene Handschrift ist im Allover des Dancefloors unkenntlich geworden. Von Jugend keine Spur. Wo sonst der Breakbeatlärm bis in die Jeansreklamen vorgedrungen ist, arbeiten die Pet Shop Boys auf ihrem siebenten Album weiter mit vor sich hin rappelnden 4/4-Rhythmusmaschinen und einer Studio-Software von anno 1989. Die Discothek, in der diese Musik spielt, gehört jedenfalls vergangenen Zeiten an.

Die Schräglage zum Tagesgeschäft gehört allerdings seit Beginn ihrer Laufbahn dazu. Doch wo die Pet Shop Boys in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren jeden Clubsound auf die Füße des Popmainstream stellen konnten, scheint die Kluft nun kaum mehr überbrückbar. Tatsächlich hatte ihre Art Euro-Disco stets die Qualitäten des Singer/Songwritertums. Daher die Eingängigkeit der Melodien bei gleichbleibend monotonen Beats, in die Slogans über Che Guevara, Armani oder Debussy prima einfließen konnten. Die Musik war Transportmittel für ein Patchwork aus Botschaften – hier ein wenig Aids-Problematik, dort der Zusammenbruch der Sowjetunion und dazwischen: immer wieder Liebeslieder.

Manchmal war Tennant die Vorstellung sogar peinlich, dass seine Lyrics vor allem vom eigenen Leben handelten. Dann setzte er sich einen Cowboyhut auf und spielte „Where the streets have no name“ von U2 als Las-Vegas-Spektakel nach. Inzwischen findet es Bono jedoch selber sehr schick, wenn er sich bei Konzerten als Homo verkleidet. Das Spiel mit Identitäten, die operettenhaften Maskeraden und auch das Abtauchen in den Cyberspace machen die Pet Shop Boys nicht mehr zu Role Models für Minderheiten, sondern zeigen eher, wohin der Marsch in die Mehrheitsfähigkeit geführt hat: Heute sitzt Neil Tennant im Freundeskreis der Londoner Tate Gallery und entscheidet mit darüber, welcher „young british artist“ den Turner-Preis gewinnt.

Nebenbei sammelt er Kunst von Sam Taylor-Wood – modebewusst drapierte Boheme-Fotografie, versteht sich. Dass Tennant zudem lieber in Architekturbänden von Zaha Hadid blättert als in Smash Hits, weist in etwa den Weg, der auf der kommenden Tour in Sachen Bühnenausstattung eingeschlagen wird: „Wenn man unsere früheren Shows mit Gemälden vergleicht, dann waren sie gegenständlich. Die neuen Shows werden definitiv abstrakt.“ Doch von einem solchen Wunsch nach Klarheit und Reduktion merkt man auf „Nightlife“ nicht viel. Die Hälfte der Songs wurde üppig wie immer mit Orchester unterlegt, und in den Refrains hallen reihenweise Chorgesänge nach. Früher war das überkandidelte Arrangement zu Songs wie „Rent“ ein ironischer Verweis auf die Flexibilität von Pop zwischen U- und E-Welten. Inzwischen ist eine neue Platte der Pet Shop Boys durchaus als Produkt nach Marktkriterien kalkuliert: Hier ein bisschen Gospel, dort eine Ballade mit Kylie Minogue, und auf „New York City Boy“ das komplette Glamour-Programm für Disco-54-Nostalgiker.

Und doch: Die Clubber da draußen sagen vielleicht Nein, aber das Herz in dir sagt Ja. Der Verstand übrigens auch – wo sonst in all den starr zurechtgebastelten Tracks, die irgendwelche Locations trist beschallen, hört man schon Sätze wie „Happiness is an option“? Oder Wahrheiten darüber, dass man sich gegenseitig gerne Liebesdinge zuflüstert, wenn man sturzbetrunken ist? Dazu jammert dann eine beruhigende Slidegitarre, und die ganze Welt sieht wie eine billige Bierschwemme in Kiel, im Ruhrgebiet oder im Londoner West End aus.

Es ist diese Gleichförmigkeit von Erfahrungen, die bei den Pet Shop Boys weiterhin ins große Songformat gegossen wird. Das macht aus „Nightlife“ eine, nun ja, unglaublich schöne Platte. Der englische Kunstkritiker Jeremy Gilbert-Rolfe hat über diese Schönheit geschrieben, dass sie in ihrer zugleich stummen und leeren Form nichts beabsichtigt, keinen Anlass zum Streiten gibt, dass sie gleichgültig gegen Pathos und Entsetzen ist. Und vor allem: dass sie dessen Bewertung dem Betrachter überlässt, „der, wenn er die Weigerung des Schönen, Anteil zu nehmen, erkennt, wirklich entsetzt und erschüttert sein mag“. Der Text erschien 1996. Vermutlich hat ihn Neil Tennant gelesen.

Pet Shop Boys: Nightlife (Parlophone; EMI)