Kleinvieh macht auch Mist

Die bisher angedachte Reform der Unternehmensteuer belastet die Mehrheit der Selbstständigen und kleinen Gesellschaften, statt sie zu entlasten  ■   Von Beate Willms

Steuergerechtigkeit der SPD: Kleinaktionäre zahlen mehr Steuern, Kommunen erhalten weniger Steuern

Berlin (taz) – Zunächst waren es vor allem die Lobbyisten derWirtschaftsverbände, die die geplante Unternehmensteuerreform ins Visier genommen hatten. Dann rumorte es innerhalb der Regierungskoalition, und nun haben auch die Konjunkturexperten der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute erklärt, dass sie die bisher bekannt gewordenen Pläne von Finanzminister Hans Eichel (SPD) für falsch halten. Viel ist allerdings noch nicht bekannt. Bislang sickerten nur Eckpunkte durch, und erst am Mittwoch hat Eichel erklärt, er werde den Referentenentwurf für die Reform nicht schon Ende November, sondern erst am 5. Januar 2000 vorlegen. „Und das ist völlig in Ordnung. Uns ist lieber, die lassen sich Zeit, und man muss dann nicht x-mal nachbessern, weil die Details nicht durchdacht sind“, hieß es aus dem Büro von Christine Scheel, Steuerexpertin von Bündnis 90/Die Grünen.

Tatsächlich hat die Verzögerung nichts mit Geheimniskrämerei zu tun, auch wenn sie immer wieder Gelegenheit zu verwirrenden Zwischenstandsmeldungen bietet. Das einzige, was bislang tatsächlich steht, sind die bereits Ende Juli veröffentlichten Eckpunkte. Demnach sollen die Körperschaftsteuern auf 25 Prozent gesenkt und auch Personengesellschaften „ähnlich besteuert“ werden. Die Gewerbesteuer, so die bisherige Empfehlung, wird erst einmal beibehalten, weil eine Änderung sich zu drastisch auf die Finanzlage der Kommunen auswirken würde. Nach Eichels Berechnungen müssten die Unternehmen damit jährlich rund 8 Milliarden Mark Steuern weniger zahlen.

Bislang zahlen Kapitalgesellschaften – Unternehmen wie eine GmbH oder AG – 35 Prozent Körperschaftssteuer auf einbehaltene und 30 Prozent auf ausgeschüttete Gewinne. Der Anteilseigner, der eventuell auch eine Dividende bekommt, konnte sich diese 30 Prozent bisher auf seine Einkommensteuer anrechnen lassen. Kleinaktionäre, deren Kapitaleinkünfte unter dem Sparerfreibetrag lagen, bekamen sie sogar erstattet. So genannte Personengesellschaften (KG, GbR) oder Selbstständige, die in Deutschland 98,8 Prozent der Unternehmen ausmachen, werden für ihre gewerblichen Einkünfte mit der Einkommensteuer zur Kasse gebeten. Ihr Steuersatz richtet sich also nach der Höhe des erzielten Gewinns, beträgt aber im Unterschied zur privaten Einkommensteuer höchstens 45 Prozent. Außerdem müssen alle Unternehmen ab einem gewissen Ertrag die Gewerbesteuer zahlen, die sich aus dem bundeseinheitlichen Satz von derzeit fünf Prozent und einem Hebesatz, den die Kommunen bestimmen, zusammensetzt.

Kapitalgesellschaften kämen nach der Unternehmensteuerreform im Schnitt auf einen Steuersatz von 37 bis 38 Prozent, Vergünstigungen nicht mitgerechnet. Im Koalitionsvertrag hatten SPD und Grüne 35 Prozent als Ziel formuliert.

Anders sieht es jedoch für die Personengesellschaften aus, die bislang dem progressiven Einkommensteuertarif unterliegen. Der größere Teil verdient so wenig, dass ein Steuersatz von 25 Prozent für sie eine erhebliche Verschlechterung darstellen würde. So würden ausgerechnet die Unternehmen, die in Deutschland am ehesten zu mehr Arbeitsplätzen beitragen könnten, benachteiligt, während die Konzerne sich über noch günstigere Bedingungen freuen könnten.

Das Problem ist im Finanzministerium bekannt, Lösungen wären möglich. Steuerexpertin Christine Scheel schlägt vor, dass die entsprechenden Unternehmer und Selbstständigen wählen dürfen, wie sie besteuert werden wollen: nach dem neuen Unternehmenstarif oder weiter mit der gewerblichen Einkommensteuer. Unklar ist allerdings, ob das steuersystematisch überhaupt möglich ist – und ob die Besteuerung dadurch transparenter und einfacher würde – immerhin das Hauptziel der Reform.

Der Spiegel veröffentlichte kürzlich einen Vorschlag, der angeblich direkt aus der Expertenkommission des Finanzministeriums kommt. Danach sollen Inhaber von Personengesellschaften einen fiktiven Unternehmerlohn als Betriebsausgabe in Höhe von bis zu 150.000 Mark von der Steuerbemessungsgrundlage abziehen und dann mit dem eigenen Einkommen versteuern können. Der Trick dabei: Viele kleine und kleinste Unternehmen könnten damit unter die Grenze fallen, ab der sie Gewerbesteuer zahlen müssten. Allerdings gingen der öffentlichen Hand damit statt acht rund 15 Milliarden Mark verloren – und das ausgerechnet in den größtenteils finanzschwachen Kommunen. Immerhin: Trotz dieser Schwächen bei den bislang bekannten Vorschlägen hat Peter Zitzelsberger, zuständiger Staatssekretär im Finanzministerium, dieser Tage verlauten lassen, wenn demnächst der Entwurf zur Unternehmensteuerreform veröffentlicht werde, „dürften die kleinen und mittleren Unternehmen höchst zufrieden sein“.

Mehr Kopfzerbrechen sollte den Reformexperten nach Einschätzung der Wirtschaftsforscher die unterschiedliche Behandlung von einbehaltenen und ausgezahlten Gewinnen machen. Zwar soll für die auf den ersten Blick der gleiche Steuersatz, nämlich 25 Prozent, gelten. Zugleich soll aber auch das bisherige Anrechnungsverfahren auf das so genannte Halbeinkünfteverfahren umgestellt werden. Danach müsste jeder Dividendenempfänger die ausgeschütteten Gewinne noch einmal versteuern, und zwar mit seinem halben persönlichen Steuersatz. Die Folge: Ausgerechnet Kleinaktionäre mit einem Jahresbruttoeinkommen unter 150.000 Mark würden dadurch schlechter gestellt (siehe taz vom 28. 6.).

Nach der derzeit wahrscheinlichsten Reformvariante soll die Regelung aber nicht nur für Kapital-, sondern auch für Personengesellschaften gelten, bei denen dann die Gewinnentnahmen, also etwa Geld für den persönlichen Bedarf, wenn der Selbstständige sich kein eigenes Gehalt zahlt, doppelt besteuert würden.

Die Gesamtbelastung der Unternehmensgewinne hinge damit auch von der Höhe des persönlichen Einkommens des Unternehmers ab, ausgezahlte Gewinne wären auf jeden Fall höher zu versteuern als einbehaltene – wegen der in der Regel höheren Einkommenssteuern mit bis zu 43,2 Prozent, wie das Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler ausgerechnet hat.

Hinter der Unterscheidung bei der Gewinnverwendung steckt die Idee, dass mit dem Geld, das im Unternehmen bleibt, beinahe automatisch investiert oder Arbeitsplätze geschaffen werden, während ausgezahlte Gewinne sich irgendwo auf dem Kapitalmarkt tummeln. Das hält Gustav-Adolf Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin für zu stark vereinfacht: Mit einbehaltenen Gewinnen könne genausogut auch Arbeitsplatzabbau finanziert wie mit ausgeschütteten neue Investitionen durchgeführt werden könnten. Außerdem verführe die unterschiedliche Behandlung Steuerberater und Unternehmer dazu, nach neuen Schlupflöchern und „abenteuerlichen Konstruktionen“ zu suchen, mit denen sie möglichst wenig Steuern zahlen.