Ein Hafen für den Gazastreifen

Seit Anfang Oktober wird die bislang von Israel nur stillschweigend geduldete Hafenmole von Gaza-Stadt zu einem Seehafen ausgebaut. Die Palästinenser hoffen, der Gazastreifen könne sich auf dem Seeweg aus der umfassenden Handelskontrolle durch Israel lösen. Eine Reportage über einen Hafen, den es gar nicht geben durfte von Russell Liebman und Thekla Dannenberg (Text)

Viel wächst nicht in Gaza, ein paar Zitronen, Orangen, Blumen. In dem übervölkerten kargen Landstrich gedeihen vor allem Hoffnungen. Und weil den Palästinensern der Weg über das israelische Festland versperrt ist, richten sie ihren Blick auf das Meer und ihre Erwartungen auf einen neuen Seehafen, der den abgeschnittenen Flecken Land in eine blühende Landschaft verwandeln soll. Er soll die Verbindung mit dem Rest der Welt herstellen und zugleich Markstein sein auf dem Weg zum eigenständigen Staat. Mit seinem Bau wurde Anfang des Monats begonnen. So hatten es Israelis und Palästinenser im Abkommen von Scharm al-Scheich im September vereinbart – ein weiterer mühsamer Schritt zum Frieden im Nahen Osten. Im Vertrag wurde auch die Freilassung von 350 palästinensischen Häftlingen vereinbart sowie die Freigabe einer Transitstrecke durch Israel, die seit Anfang der Woche den Palästinensern eine sichere Passage zwischen Westjordanland und Gazastreifen gewährt.

Um sich selbst Mut zu machen, beschwören Palästinenser gern die Geschichte. Eine große Seefahrer- und Handelsstadt sei Gaza zu osmanischen Zeiten gewesen. An dem Hafen sei kein Schiff vorbeigefahren, das im östlichen Mittelmeer steuerte, schwärmt der Bürgermeister von Gaza-Stadt, Sa'adi al-Shawa. Von dieser großen Hafenstadt ist wenig übrig geblieben. Nur ein kleiner Fischerhafen, den es offiziell gar nicht gibt und der von Israel halbherzig geduldet wird. Die Menschen in Gaza leben schließlich vom Fischfang.

Die steinerne Anlage einen Hafen zu nennen ist schon übertrieben. Sie ist vielmehr eine zufällige Anhäufung von Betonquadern und Bauschutt. Nacht für Nacht haben Fischer wie zufällig Geröll mit Pferdekarren und Traktoren ins Meer geschoben. Für Israel ist die Uferbefestigung ein Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen. Für die Fischer ist sie ein Segen. Bevor sie angelegt wurde, mussten jedes Mal zwei Dutzend Männer die vollbeladenen Fischerboote bei ihrer Rückkehr von den Fangzügen an den Strand tragen.

Staat kann man mit einer solchen Mole nicht machen. Für Prestige und Wirtschaft der palästinensischen Gebiete soll deshalb der Seehafen sorgen. Palästinenserpräsident Jassir Arafat musste häufig und lange durch die europäischen Hauptstädte touren, um Geldgeber für das Hundert-Millionen-Dollar-Projekt zu finden. Die Regierungen von Frankreich und den Niederlanden erklärten sich schließlich bereit, den Hafen zu finanzieren, der von französischen und niederländischen Unternehmen gebaut wird. Denn tatsächlich führt der einzige Weg aus der wirtschaftlichen Misere über das Meer.

Jeglicher Handel wird noch immer über Israel abgewickelt und von Israel kontrolliert. Jede Ausfuhr, jede Einfuhr muss von Israel genehmigt werden. Wenn Israel die Grenzen zum Gazastreifen dichtmacht, kommt auch der Handel zum Erliegen. Denn sämtliche Zolleinnahmen fließen ebenfalls nach Tel Aviv. Mit der Wirtschaft in den Autonomiegebieten geht es seit Jahren bergab. Die Einkommen sinken, die Arbeitslosigkeit steigt. Inzwischen liegt sie zwischen 35 und 40 Prozent.

Der Hafen soll freien Handel möglich machen, die Ansiedlung von Industrie fördern, Arbeitsplätze schaffen und der Autonomiebehörde finanzielle Einnahmen bringen. So hoffen die Palästinenser und so beschreiben es die Entwicklungsstudien des Internationalen Währungsfonds. Dass sich die in den Hafen gesetzten Hoffnungen tatsächlich erfüllen, glaubt kaum jemand. „Es geht eben um Symbole“, sagen palästinensische Vertreter. Die wichtigen Häfen der Levante liegen im israelischen Haifa und im ägyptischen Alexandria.

Tatsächlich haben sich Palästinenser und Israelis bisher nur darauf geeinigt, dass der Hafen gebaut wird. Wann, wie und unter welchen Bedingungen er in Betrieb genommen werden kann, wurde bisher nicht einmal diskutiert. Noch kontrolliert Israel das Meer. Ungeklärt sind sowohl die Hoheitsrechte als auch Sicherheitsaspekte; ein Seeprotokoll muss erst noch verabschiedet werden. Heute dürfen Fischer nicht mehr als zehn Kilometer weit aufs Meer fahren. Die reichen Fischgründe jedoch liegen hinter dieser Grenze.

So viele hochfliegende Projekte die Palästinenser auch in Angriff nehmen, so schnell landen sie auch wieder auf dem Boden der palästinensischen Wirklichkeit. Der Versuch, an der Küste von Gaza eine arabische Riviera entstehen zu lassen, ist bisher von den Urlauberströmen nicht wahrgenommen worden. Gewaltige Hotelburgen wurden am Strand hochgezogen und stehen nun völlig verödet da. Kreuzfahrtschiffe sind nicht so bald zu erwarten.

Auch das zweite palästinensische Renommierprojekt, der Flughafen, fristet nach seiner umjubelten Eröffnung im November 1998 ein recht kümmerliches Dasein. Auch er sollte blühende Landschaften, Freiheit und den Anschluss an die Welt bringen. Die beschworenen Scharen von Pilgern und Geschäftsleuten sind ausgeblieben. Auf dem Parkplatz, angelegt für eine halbe Million Passagiere im Jahr, steht gerade einmal ein halbes Dutzend Autos. Angeflogen wird Gaza International Airport nur von einer europäischen Fluglinie: der rumänischen Tarom.

Thekla Dannenberg, 29, arbeitet als Redakteurin in der Nachrichtenredaktion der taz