Nato und Russland bringen uns um Wähler“

■ Der Abgeordnete Sergej Kurykin über die Schwierigkeiten, in der Ukraine grüne Politik zu machen

taz: Hat es in den vier Jahren der Präsidentschaft Leonid Kutschmas Fortschritte gegeben?

Sergej Kurykin: Für uns Grüne kaum. Als wir mit 23 Abgeordneten vor anderthalb Jahren in die Rada einzogen, forderten wir die Gründung eines umfassenden Komitees für die Atomindustrie und die Liquidierung der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe. Leider standen wir damit völlig allein. Deshalb fällt die Frage der Entwicklung der Atomenergie jetzt in die Kompetenz des parlamentarischen Komitees für Energieversorgung, aber für die Beseitigung der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe ist das Komitee für Ökologiepolitik zuständig. Außerdem haben wir Ökoorganisationen kaum Chancen, in den öffentlichen Informationsraum einzudringen. So ist die Mehrheit der Bürger gegen den weiteren Ausbau der Atomkraftwerke in Rowno und Chmelnicki. Aber die Atomlobby arbeitet in den Massenmedien so intensiv, dass diese Meinung der Öffentlichkeit nicht bekannt wurde.

Heißt das, es gibt eine Zensur?

Formell nicht. Aber die Administration des Präsidenten übt auf andere Weise Druck aus. Indem Journalisten mit Entlassung bedroht werden oder Presseorgane massive Schwierigkeiten mit der Steuerbehörde bekommen. Leider ist diese Unterdrückung der Meinungsfreiheit nicht nur im Zusammenhang mit den Wahlen zu sehen, sondern sie bildet Kutschmas generelles Handlungsmodell.

Warum haben die Grünen einen eigenen Kandidaten aufgestellt?

Leider konnten wir unter den anderen Kandidaten keinen finden, der den Zusammenhang zwischen der Entwicklung gewisser Industrien in unserem Lande und dem Zustand der Umwelt begriffen hätte. Wenn wir einen eigenen Kandidaten aufstellen, dann weil wir hofften, den Wahlkampf benutzen zu können, um das Bewusstsein der Wähler für diesen Zusammenhang zu schärfen.

Was sagen Sie dazu, dass Natalia Witrenko die atomare Wiederbewaffnung der Ukraine fordert?

Sie fordert sie nicht nur bloß so allgemein, sondern während einer Diskussion mit mir kritisierte sie die Idee, unsere strategischen Landstreckenbomber an Russland zu verkaufen. Damit soll ein Teil unserer Schulden für Erdgaslieferungen beglichen werden. Witrenko behauptete, mit dem Einsatz dieser Bomber hätten wir Miloševic decken können! Sie demonstrierte so ihr Unverständnis für das Problem. Denn dies sind reine Angriffswaffen. Ich sagte: Mit deren Hilfe hätten wir Miloševic nicht decken, sondern höchstens zudecken können.

Welchen Standpunkt nahmen die ukrainischen Grünen in der Frage des Kosovo-Krieges ein?

Wir waren von Anfang an dagegen. Der Krieg in Jugoslavien hat zu einer Stärkung der Kommunisten und Atomwaffenbefürworter in der Ukraine geführt, die sagten: Die Nato macht in Europa, was sie will. Wir müssen wieder aufrüsten, um nicht zu ihrem Spielball zu werden. Wenn jetzt die Russen versuchen, Vereinbarungen rückgängig zu machen, die ihnen die Stationierung von Atomwaffen auf der Schwarzmeerflotte verbieten, werden wir es schwer haben, dagegen zu protestieren.

Hat der Kosovo-Krieg zu einer Annäherung der ukrainischen Patrioten an Russland geführt?

Teilweise ja. Das heißt noch nicht, dass sie zu einer Wiedervereinigung bereit gewesen wären. Kurz darauf hat Russland einige Heißköpfe mit seinen Aktionen in Tschetschenien ernüchtert. Die Atomwaffenbefürworter bei uns ziehen auch daraus Nutzen und sagen: Wir müssen uns schnell atomar bewaffnen, um uns Russland entgegenstellen zu können.

Wo stehen bei alledem die ukrainischen Grünen?

Wir sind gegen alle militärischen Blöcke. Außerdem sind wir gegen Atomwaffen. Aber die Realität, die die Nato und Russland in Europa geschaffen haben, senkt unsere Chancen, verstanden zu werden. Die Nato und Russland bringen uns um unsere Wähler.

Interview: Barbara Kerneck