Ökolumne
: Öko-Pharisäer

■ Tengelmann ist gegen Walfang, aber für Schweinequälerei

Tengelmann macht der Umweltschutzorganisation Greenpeace Konkurrenz. In den Supermärkten liegt kostenlos die Öko-Postille „TUN“ („Tengelmann Umwelt Nachrichten“). Neben Bildern putziger Robbenbabys und imposanter Wale erklärt der Konzern darin den Boykott aller norwegischen Waren. Begründung: „Die Norweger“ jagen Zwergwale.

Außer bei Tengelmann einzukaufen, informiert „TUN“, kann man noch mehr für die bedrohte Natur tun. Alle Leser werden zur Unterstützung der Organisation „Sea Shepherd“ aufgerufen. Die führt der Amerikaner Paul Watson, ein bekennender Öko-Terrorist. Er brüstet sich damit, dass seine Leute acht Schiffe versenkt und weitere sechs gerammt haben. Seine Truppe scheute sich in der Vergangenheit auch nicht, auf Walfänger und Polizisten zu schießen. Wie kommt es zu dieser seltsamen Allianz zwischen Kapitalisten und Terroristen?

Die Anwort findet der aufmerksame Kunde zwei Schritte weiter in der Fleischtruhe. Dort werden grillfertige Schweinehalsscheiben angeboten: 100 Gramm für 79 Pfennig. Ein Preis, der unter der mancher Hundefutterkonserven liegt. Er kann nur durch Intensivmast in Fabrikställen erzielt werden. Und wer sich dort mal umgesehen hat, möchte im nächsten Leben weitaus lieber ein norwegischer Wal sein als ein deutsches Schwein. Zwergwale werden getötet – Schweine monatelang gequält und dann erst getötet.

Im übrigen sind Zwergwale keinesfalls als Art bedroht. Ihr Bestand wird von Wissenschaftlern zwischen 600.000 und 1,2 Millionen geschätzt. Der moralische Unterschied zwischen Walfleisch und Schweinefleisch besteht also darin, dass Wale Kulttiere sind und Schweine nicht. So kann man Heuchelei auf die Spitze treiben. Ein Unternehmen, das selbst gute Möglichkeiten hätte, etwas für den Tierschutz zu tun, hetzt lieber gegen weit entfernte Sündenböcke und beleidigt ein fremdes Land.

Tengelmann könnte schon morgen seine Einkaufsmacht nutzen, um humane Tierhaltungskriterien bei seinen Lieferanten zu erlassen. Niemand hat so großen Einfluss auf die Landwirtschaft in Deutschland wie die großen Einzelhandelskonzerne. Weil sie den Bauern die Preise immer tiefer drücken, fühlen sich viele Landwirte (sofern sie nicht zum Öko-Landbau wechseln) geradezu gezwungen, aus den Tieren das Letzte herauszuholen.

Grünes Ablenkungstheater à la „Rettet die Wale!“ ist jedoch nicht neu und auch keine Ausnahme. Mit kostenlosen Öko-Phrasen verschaffen sich Unternehmen, Lobbyisten und Politiker moralischen Glanz. Wo Umweltschutz draufsteht, muss aber nicht unbedingt Umweltschutz drin sein. Oft geht es schlichtweg um Wirtschaftsinteressen. Atomkonzerne warnen in Werbeanzeigen vor der Klimakatastrophe, um sich als ökologische Retter aufzuspielen. Umgekehrt kommen der Kohle- und Ölindustrie die Atomängste ganz gelegen.

Öko-Pharisäertum folgt dabei den gleichen Mustern wie die Debatte um die Sozial- und Steuerpolitik. Alle sind fürs Sparen, und alle haben sofort Vorschläge parat, wo bei anderen gespart werden könnte.

Die Kunst des Heuchelns beherrschen dabei nicht nur die professionellen Interessenvertreter. Sie ist in der Volksseele tief verankert und macht sich dort am liebsten durch blumiges Geschwätz („Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen“) und Belehrungen Luft. Bei einer Allensbach-Umfrage erklärten 61 Prozent der Deutschen, dass sie Freunde und Nachbarn ökologisch unterweisen. Ein einig Volk von grünen Besserwissern. Heuchelei gehört zum menschlichen Leben, und Pharisäer gibt es seit biblischen Zeiten. Das ist im Grunde nicht besonders tragisch. Doch wenn die Beschönigung des eigenen Tuns dazu führt, öffentlich ganze Völker zu verdammen („Die Norweger“ heißt es in dem Tengelmann-Magazin, man stelle sich vor „die Türken“ oder „die Israelis“), nur weil sie andere Tierarten jagen und essen als die Deutschen, wenn man obendrein noch Terroristen hochjubelt, die Robben und Wale über Menschen stellen, dann ist etwas grundsätzlich schiefgelaufen. Wo solche Öko-Pharisäer den Ton angeben, wird der Natur nicht geholfen. Im Gegenteil: Jagd auf Sündenböcke ist schlimmer als Walfang. Michael Miersch