Jüdische Familiensaga

■ Suzanne Brøgger liest heute in der Zentralbibliothek aus „Die Jadekatze“

Zwei Familien, einundvierzig Namen. Dreizehn Ehen, zwei Dutzend Liebschaften. Namen und Spitznamen, Katarina etwa, die man „Katze“ nennt, und Liane, die „Li“ gerufen wird oder auch „Cat“. Alles klar? – Wie gut also, dass dem Roman Die Jadekatze der dänischen Autorin Suzanne Brøgger ein ausführlicher Stammbaum voran- wie nachgestellt ist, der bei der Lektüre unterstützend herangezogen werden kann. Denn wir haben vor uns einen Vertreter jener Gattung, für die es das hübsche dänische Wort slägtssaga gibt. Geschlecht gilt hier im doppelten Sinne: als Umschreibung der Familie als generationenübergreifender Kosmos und als Verweis auf den Antagonismus von Männern und Frauen.

Suzanne Brøgger, die sich zunächst in ihrer Heimat einen Namen als feministische Erzählerin gemacht hat, schildert in ihrem ersten großen Roman europäische Geschichte erneut aus der Perspektive von Frauen, die keineswegs die blanken Opfer bleiben. Es sind somit die großen Kämpfe zwischen Frauen und Männern, die kleinen, alltäglichen Scharmützel, die für den entsprechenden Drive in der Handlung sorgen. Zunächst mehr ein Nebeneinander aus Lebenslinien und Entwürfen, verstricken sich diese zu einem Knäuel, je älter die Protagonisten werden und je mehr Kinder und Kindeskinder hinzukommen, die das zu erledigen versuchen, was man ihnen auferlegt: Fehler auszubügeln, nicht gelebtes Leben zu realisieren, alles besser zu machen.

All das geschieht vor verschiedenen europäischen Kulissen dieses Jahrhunderts: das Aufkommen des Faschismus, die Besetzung der baltischen Länder durch Hitlers und durch die Rote Armee, die Flucht der dänischen Juden nach Schweden, die Wirren der Nachkriegszeit. Deutschland, Dänemark, das Baltikum, Schweden und wieder Dänemark sind die wesentlichen Stationen. Zuweilen reichen die Fluchtbewegungen bis nach Amerika, um einerseits der Familie zu entkommen, andererseits als Vorbild den Zurückgelassenen heimzuleuchten. Vergeblich, wo man doch drüben nicht einmal Hausmädchen kennt, da man sich sein Essen aus Konserven bereitet.

So entfaltet sich eine Einwanderungsgeschichte, das Protokoll einer versuchten Assimillation, eine insgesamt dänisch-baltisch-jüdische Familiensaga, die ein weiteres wichtiges Schlaglicht auf die Geschichte des europäischen Judentums wirft – mit der Ostsee als verbindendem und zuweilen rettendem Element. Dass mit der Vorstellung dieses Romans und ihrer Autorin die Lesungssreihe „100 Jahre Hamburger Öffentliche Bücherhallen“ abgeschlossen wird, ist mithin treffend. Zumal uns im kommenden Jahr mit dem Veranstaltungsreigen „Dänemark in Hamburg“ eine anhaltende Begegnung mit unserem nördlichen Nachbarn ins Haus steht.

Frank Keil

heute, 20 Uhr, Zentralbibliothek, Große Bleichen 25; Suzanne Brøgger: „Die Jadekatze“. Roman. Berlin 1999, Gustav-Kiepenheuer-Verlag, 510 Seiten, 49,90 Mark