Reality-TV aus dem Ku'damm-Bunker

Nachdem die Ausstellung „Story of Berlin“ im Ku'damm-Karree mit provokanten Plakaten warb, können sich Besucher demnächst 25 Stunden in einem Bunker einschließen lassen    ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Was tut man, wenn man für 20 Millionen Mark auf 7.000 Quadratmeter Fläche eine „rasante Zeitreise“ durch acht Jahrhunderte auf die Beine gestellt hat und die Besucher nicht in Scharen strömen? Man provoziert sie, um sie anzulocken.

Das tun die Macher der Ausstellung „The Story of Berlin“, die seit Juni im Ku'damm-Karree zu sehen ist, seit einigen Wochen mit Plakaten und Anzeigen. Eines der Motive ist ein Foto mit Bombern über dem zerstörten Reichstag, dekoriert mit dem Spruch „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft“. Auf einem anderen Bild ist der angeschossene Student Benno Ohnesorg zu sehen – dazu das Hitler-Zitat „Ab 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen“. Am umstrittensten ist ein Motiv, das es nicht wie die anderen als Plakate und Postkarten gibt, dafür aber als ganzseitige Zeitungsanzeige. Darauf ist ein Nazi-Aufmarsch aus den 30er-Jahren zu sehen und inmitten von Hakenkreuzen der Spruch „Wir sind das Volk.“ Die Berliner Zeitung, in der diese Anzeige geschaltet werden sollte, um speziell Ostberliner anzulocken, lehnte den Abdruck ab. Der Tagesspiegel hingegen druckte sie.

Die Rechnung der Ausstellungsmacher scheint aufzugehen. Nach Angaben des Generalbevollmächtigten, Hans Maierski, hat sich die Besucherzahl seitdem vervierfacht, auch ist der Anteil der Ostberliner „signifikant angestiegen“. Gestern sind zum ersten Mal mehr als tausend Interessierte gekommen. Insgesamt haben bisher etwa 50.000 Besucher die 18 Mark Eintritt bezahlt. Die Ausstellung ist auf fünf Jahre angelegt.

Um noch mehr zu provozieren, haben sich die Ausstellungsmacher jetzt etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Während der normale Besucher mit Rauminszenierungen, Videoeffekten und 3-D-Sound-System die Geschichte bereits hören, sehen und fühlen kann, soll er sie nun auch am eigenen Leib erfahren. Am 13. November haben erstmals 250 Freiwillige die Gelegenheit, sich 25 Stunden lang in dem Zivilschutzbunker im Ku'damm-Karree einschließen zu lassen. Ähnlich wie bei einer derzeit in den Niederlanden laufenden Reality-Show, bei der eine Reihe von Leuten rund um die Uhr gefilmt wird, soll die erste Bunkernacht mit einer Kamera dokumentiert werden. Diese wird zum Teil live auf B 1 zu sehen sein: im Programm eines „Gernseh-Abends“. Zudem können Passanten auf einer Leinwand draußen die Geschehnisse drinnen mitverfolgen.

Um zu verhindern, dass verkappte Rechte die Bunkernacht missbrauchen könnten, wird jeder Interessierte in einem Informationsgespräch auf Herz und Nieren geprüft. Nach Fernsehspots im SFB, die seit Freitag laufen, liegen bereits mehr als 250 Anmeldungen vor. Heute Abend wird es die ersten Vorgespräche geben.

Um auch wirklich „real“ zu sein, werden die Freiwilligen, die auf dreistöckigen Eisenbetten schlafen, mit Wasser und Eintopf bei Notbeleuchtung verköstigt. Eigens aufgestellte Chemie-Toiletten dienen für die dringendsten Bedürfnisse. Schlafsäcke müssen die Teilnehmer selber mitbringen. Ärzte, Psychologen und Sanitäter sollen dafür sorgen, dass es zu keinen unerwarteten Zwischenfällen kommt. Wem nach der Bunkernacht der Appetit noch nicht vergangen ist, wird mit einem Frühstück im 14. Stock des Ku'damm-Karrees belohnt.

Maierski ist überzeugt, dass auch diese Rechnung aufgeht. Er sieht in dem Bunker einen „idealen Ort der Begegnung von Ost und West“. Wenn die Teilnehmer „mit hellwachem Kopf dabei sind und über ihre Ängste reden“, würden sie mit einem anderen Bewusstsein herausgehen, als sie hereingekommen seien.

Nach dem 13. November ist geplant, jedes Wochenende eine Bunkernacht zu veranstalten. Im Unterschied zur ersten werden die folgenden aber nicht mehr im Fernsehen übertragen. Außerdem muss dann für die hautnahe Geschichtslektion gezahlt werden – mehr als der normale Eintritt.