Ein eleganter Lückenbüßer

Neue Museen sind Wahlhelfer. Neue Museen sind Werber. Neue Museen stehen einfach gut da. Nun hat also auch die Stadt Nürnberg endlich ihr Neues Museum  ■   Von Ira Mazzoni

Noch ist nur die architektonische Hülle für die gleichberechtigte Präsentation von Kunst und Design der Gegenwart zu besichtigen. Erst im Frühjahr 2000 können Inhalte gezeigt werden: Kunstwerke der seit den Sechzigerjahren zusammengetragenen städtischen Sammlung und privater Stiftungen; Nützliches und Schönes aus der Neuen Sammlung München, der international führenden Institution für Design. Die paritätische Nutzung des Hauses ist ein Novum, da selbst das Museum of Modern Art in New York der angewandten Kunst weniger Fläche zubilligt als der freien. „Weltweit einmalig!“ Da ist der Kultusminister stolz. Da ist der Bauherr, der Innenminister, der aus Nürnberg stammt, stolz. Und da kann sich der Bürgermeister zufrieden in seinem Stuhl wiegen, obgleich er nun die städtische Kunsthalle schließen will – wohl in der irrtümlichen Annahme, die staatliche Institution spränge auch hier in die Lücke. Hauptsache Nürnberg hat im Museumswettrennen mit München die Nase vorn.

Das Neue Museum in Nürnberg fällt dadurch auf, dass es nicht auffällt. Zwar liegt das Grundstück direkt gegenüber dem Haupteingang des Bahnhofs, aber von dort aus sieht man nur die Stadtmauer mit Türmen und Toren: Mittelalter – nicht Neuzeit. Sorgsam pflegt die Dürerstadt ihr altteutsches Image mit Erkern und Zinnen. Ein Museumsneubau, der dagegen lautstark opponiert, hätte keine Chance. Und so steht man denn in der Luitpoldstraße vor der Hausnummer 5 und sieht immer noch nichts. Nur ein historistisches Magazingebäude, Baujahr 1899. Daneben ein schmalbrüstiger Neubau, der die Geschosseinteilung und das steile Dach nebst Gauben vom Nachbarn übernimmt. Zur Zufriedenheit der Freunde der Altstadt und der bayerischen Natursteinlobby hängen an der neuen Fassade rosig schimmernde Sandsteinplatten.

Für erste Irritationen sorgt freilich der seitliche Überstand der Fassade, durch die ein senkrechter Glasschnitt führt. Danach beginnt in dem anschließenden Gässchen ein einziges Fließen, Leuchten und Schimmern. Ein Ende ist nicht abzusehen, man folgt den Lockungen der Reflexe, passiert die Enge und steht plötzlich auf einem großen weiten Platz, wo man dann auch den Eingang finden kann. Denn die 100 Meter lange, elegant konkav geschwungene Glaswand, bildet die eigentliche Fassade des Neuen Museums.

Es war der erste Wettbewerb, den der Berliner Architekt Volker Staab, Jahrgang 57, gewonnen hat, damals, im November 1991, als er noch nicht mal ein Büro besaß. Inzwischen konnte Staab beweisen, dass er städtebauliche Herausforderungen, auch Zumutungen, elegant zu lösen weiß. Eine jener Zumutungen war die Erweiterung des Maximilianeums in München. Hinter dem Rücken des pompösen Landtags errichtete Staab selbstbewusst sachliche Flügelbauten, die dem Hinterhof erstmals ein architektonisches Gesicht verliehen.

Auch in Nürnberg gab es keinen Bauplatz, nur Baulücken: ein Parkplatz, wo einst ein staatliches Gymnasium hinter der Stadtmauer stand, Hinterhöfe, in die ein ungenutzter Kinosaal ragte. Jetzt ist der Platz ein Stadtraum, eingefasst durch Stadtmauer, Museum und Designzentrum nebst Museumscafé. Ein verschwiegener Platz, der durch Gässchen an die Altstadt angebunden ist. Ein Forum für jedes denkbare Sommertheater. Aber kein Raum für Lebkuchen und Bratwürste.

Wenn es um symbolische Moderne geht, dann ist Glas noch immer bevorzugter Baustoff. Glas verspricht Transparenz. Glas spiegelt die Außenwelt in die Innenwelt. Glas holt die Ausstellung auf die Straße. Das ist zwar bei Kunstwerken konservatorisch bedenklich, lässt sich aber politisch gut verkaufen. So eine Curtain-Wall bietet zudem den Vorteil, dass man heterogene Bauteile hinter ihr verstecken kann. Das erinnert dann an die Gardine am Flurende der Kleinwohnung, hinter der die ordentliche Hausfrau Staubsauger, Werkzeugkasten und Schuhregal verstaut. Vorhang zu – und alles ist aufgeräumt. Auch Architekt Staab räumt mit großer Geste auf. Hinter dem großen Glasvorhang stehen drei selbstständige Baukörper, die nur über Brücken und Galerien miteinander verbunden sind: das denkmalgeschützte Vorderhaus, in dem die Verwaltung untergebracht ist, nebst Bibliotheksneubau; der Betonkubus, in dem Vortragssaal, Foyer und Ausstellungshalle übereinander gestapelt sind; sowie der Museumsflügel, dessen Waben durch die gebogene Glasfront angeschnitten wird. Jeder dieser Baukörper hat seine eigene Richtung und seine eigene Materialität und Farbe. Insofern werden die Zwischenräume und Überleitungen, die spitzwinkligen Fluchten und die gezackten Ränder interessant. Gelegentlich knirscht es vernehmbar in den Gelenken. Es gibt etliche Blickwinkel, die wohl nicht berechnet wurden.

Schaut man sich die Museumsbauten der letzten Jahre an, so meint man, ihr Essential sei das Treppenhaus. Staabs Entscheidung: eine elegante Skulptur, eine Figura Serpentinata, die ihre Pirouetten vor der Öffentlichkeit dreht. Die flache Wendeltreppe ist förmlich in die Auslage des Museums gestellt. Jeder Besucher, der das Neue Museum betritt, strebt zuerst dieser weißen Raumskulptur entgegen. Dagegen lockt es wenig, ins Dunkel des Kubus vorzudringen, in dem Kasse und Information untergebracht sind.

Das Foyer befindet sich auf einer quadratischen Plattform über dem Vortragsraum. Durch die darüber liegende Ausstellungshalle im Zwischengeschoss bleibt der Lobby jedoch nur eine geringe Raumhöhe. Bedrohlich nah hängt nun die Betondecke mit ihren aufgesetzten Lichtwannen über den Köpfen der Besucher. Die Plattform ist umgeben von Treppenschächten und Gräben. Man befindet sich auf einem Würfel in einem Würfel, mitten in der grauen Hermetik eines Mausoleums. Die kontemplative Einfachheit und archaische Wucht von Beton steht bei Architekten hoch im Kurs – aber ist sie an einem Kommunikationsknoten des Museums am richtigen Platz? Unten, vor dem Vortragssaal, mag die Architektur schon wieder zu überzeugen, dort hat der Raum Höhe und Proportion, ja sogar etwas Tageslicht. Vom Glasdach fließt das Licht über abgeschrägte Schächte in die Tiefe des Kubus und zaubert etwas Zen-Atmosphäre.

Ganz anders der Charakter des 700 qm großen, 7 m hohen stützenfreien Ausstellungsraums. Hier ist eine Nutzarchitektur entstanden, die alles möglich macht. Tageslicht, Mischlicht, Kunstlicht. Freie Installationen und Bilderwände. Man mag die tiefen Betonkassetten nicht schön finden – aber sie sind statisch notwendig und beinhalten Klima- und Lichttechnik.

Im Museumsflügel schließlich sind Ketten weißer Räume untergebracht. Angeblich müssen Kunstsäle neutral sein. Die Allgegenwart von Technik soll unsichtbar bleiben. Insofern schuf Staab ideale, wohlproportionierte Ausstellungsräume. Freilich macht ihre wabenförmige Anordnung eine Führungslinie unmöglich.

Doch die aktuelle Kunst kennt ja keine Progression der Ismen mehr. Im Crossover liegt nun die Faszination. So muss auch im Museum der Flaneur selbst die Beziehung zwischen den Dingen herstellen. Nur kann er nie ganz sicher sein, auch alles zu sehen. „ABER ICH/ DIE WELT/ ICH SEHE/ DICH“, hat der Schweizer Künstler Rémy Zaug als Menetekel an die Außenwand des Ausstellungskubus geschrieben. Reflexion, Diffusion, Konfusion: Die Grenzen sind nicht nur in einem Glashaus fließend. Eines jedoch wollte man klar getrennt haben. Design und Kunst werden nicht als Zeugnisse ihrer Zeit gemeinsam ausgestellt. Ange Leggias Installation „Lolita“, ein Gruppenbild aus fünf BMW-Motorrädern könnte sonst als Industrial-Design-Exponat der Neuen Sammlung missverstanden werden.