Am Demo-Recht nicht herumbasteln“

■  Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) spricht sich gegen eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit rund um das Reichstagsgebäude aus. Stattdessen soll sich die Berliner Polizei von den Bonner Kollegen Nachhilfe geben lassen

Beim Parlamentspräsidenten beißt Innensenator Eckart Werthebach (CDU) auf Granit: Thierse widerspricht dem Vorschlag des Landespolitikers, die Demonstrationsfreiheit an zentralen Orten der Hauptstadt einzuschränken. Rund um das Brandenburger Tor, so Werthebach, drohe wegen der häufigen Demonstrationen ein Verkehrskollaps. Minderheiten würden die Versammlungsfreiheit „exzessiv nutzen“ und Mehrheiten ausschließen.

taz: Herr Thierse, nicht nur der Innensenator, sondern auch der innenpolitische Sprecher der Berliner SPD-Fraktion, Hans-Georg Lorenz, will die Versammlungsfreiheit einschränken. Gehören Demonstrationen nicht vor den Reichstag?

Thierse: Doch, denn die Demonstranten wollen ja den Gesetzgeber erreichen. Aber auch wenn Menschen für ihre Meinung demonstrieren, muss das Parlament arbeitsfähig sein. Deshalb gibt es in Berlin eine kleine, bescheidene Bannmeile. Der Gesetzgeber nennt sie „befriedeten Bezirk“, in dem in Sitzungswochen des Bundestages nicht demonstriert werden darf. Der befriedete Bezirk umfasst den Reichstag und die angrenzenden Parlamentsneubauten.

Reicht das aus?

Es gibt in den Fraktionen des Bundestages unterschiedliche Meinungen. Die Praxis wird zeigen, ob die jetzige Regelung ausreicht.

Zeigt der Vorstoß Werthebachs nicht, wie provinziell sich Berlin verhält?

Ich möchte nur eines dazu sagen: Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut der Demokratie. Daran dürfen wir nicht herumbasteln. Aber praktische und organisatorische Überlegungen und Vereinbarungen sind sinnvoll.

Haben Sie sich von Demonstranten schon einmal belästigt gefühlt?

Seinerzeit in Bonn wurde einmal – in der erklärten Absicht, Abgeordnete am Betreten des Bundestages zu hindern – das Regierungsviertel von Demonstranten abgeriegelt. Das ging zu weit. Der Anlass war der so genannte Asylkompromiss.

In Berlin waren es nicht Demonstranten, sondern „Inline-Skater“, also Rollschuhfahrer bei der Blade Night, die ihrem Vergnügen ausgerechnet rund um das Reichstagsgebäude in großer Zahl nachgingen. Ich brauchte damals eine Stunde, bis ich das Parlamentsgebäude schließlich verlassen konnte.

Glauben Sie, dass eine Bundesratsinitiative zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit, wie Werthebach sie angekündigt hat, Erfolg haben wird?

Nein, wahrscheinlich nicht.

Was schlagen Sie den Berliner Politikern vor, um das Problem zu lösen?

Es ist nicht glaubwürdig, über Demonstrationen zu reden, wenn gleichzeitig das Brandenburger Tor für kommerzielle Zwecke laufend gesperrt wird. Damit viel zurückhaltender umzugehen wäre ein Fortschritt.

Aus Bonn weiß man, dass die dortigen Polizeipräsidenten es verstanden, mit den Veranstaltern von Demonstrationen so umzugehen, dass sowohl Verkehr und öffentliche Sicherheit als auch die Demonstranten zu ihrem Recht kommen. Man könnte dort ja einmal nachfragen und sich die Erfahrungen der Bonner Polizei zu Nutze machen.

Interview: Julia Naumann