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: Political Correctness

■ Von Wladimir Kaminer

Die moderne Gesellschaft zerstört die traditionellen Umgangsformen der Menschen. Damit das Zusammenleben nicht gänzlich unerträglich wird, schaffen die demokratischen Staaten neue künstliche Regeln – der letzte Schrei sind die Regeln der Political Correctness.

In den USA, dem Land der unbegrenzten Anzahl von Gesetzen, dürfen die Frauen zum Beispiel seit einiger Zeit im Zuge der Gleichberechtigung in der New Yorker U-Bahn mit entblößter Brust fahren. Gleichzeitig ist es den anderen Fahrgästen verboten, ihre nackten Titten anzustarren. Das gilt als politisch höchst unkorrekt, es wird als Verletzung der Privatsphäre betrachtet und kann bei der Polizei angezeigt werden.

An der Berliner Volksbühne sind an der „Titus Androniku“-Inszenierung zwei russische Schauspieler beteiligt. In dem blutigtsten und gewalttätigsten Shakespeare-Stück werden ununterbrochen die Darsteller verstümmelt. Eine Unmenge von Beinen, Händen, Zungen und anderen lebenswichtigen Körperteilen werden auf der Bühne abgehackt.

Die Hauptübeltäter, die Barbaren, werden von Russen gespielt. Denn jedem ist anscheinend klar, dass Barbaren diejenigen sind, die von weit her kommen und Deutsch mit russischem Akzent sprechen. In New York darf man Mongoloide nicht als Mongoloide bezeichnen. Politisch korrekt heißen sie „alternativ begabte Menschen“. Es gibt viele amerikanische Bücher und Hollywood-Filme, die sich dem Thema „Alternative Begabung“ widmen. Eine ganze Kulturindustrie ist daraus entstanden. In der Regel arbeiten viele alternativ begabte Mongoloide in Kaufhäusern und Supermärkten, wo sie an der Kasse stehen und die gekauften Waren in Tüten packen. Sie sind immer nett und lassen einen gleich an Forrest Gump und den Rainman denken.

Doch die New Yorker Rainmänner haben eine merkwürdige Angewohnheit: Beim Einpacken schieben sie immer die weichen Früchte und Gemüse zuerst in die Tüte, die zweilitergroßen Metallbüchsen und Whiskey-Flaschen schmeißen sie oben drauf.

Die Amerikaner, die in Sachen Political Correctness schon einiges gewohnt sind, ärgern sich deswegen kein bisschen. Im Gegenteil, weil sie moderne, aufgeschlossene Menschen sind, können sie die zunächst befremdliche Logik von alternativ Begabten total gut nachvollziehen: Die Mongoloiden tun dies nicht aus Bösartigkeit, um den anderen den Konsumspaß zu verderben. Sie wollen einfach nur die schönsten und sich angenehm anfühlenden Sachen zuerst in die Hand nehmen – die warmen roten Tomaten, die Paprikaschoten ... [Könnte dem Herrn Kaminer mal jemand verklickern, dass Forrest Gump und Rainman keine „mongoloiden“ Menschen, also Menschen mit Down-Syndrom, waren. Rainman war Autist, und auch Forrest Gump litt an einer anderen „alternativen Begabung“, war aber kein Mensch mit Down-Syndrom. d.sin.] Als letztes fassen sie die kalten, toten, nichtssagenden Olivenölbüchsen und Whiskeyflaschen an. Sie bewerten die Dinge nicht nach dem Gewicht, sondern nach anderen, vielleicht ästhetischen Kategorien.

In einem Berliner Theater fragte neulich eine schwarzafrikanische Schauspielerin den Regisseur, was er sich dabei gedacht habe, als er ihr die Rolle des Teufels anbot. Der Regisseur meinte, dass es ihm dabei um bestimmte Charaktereigenschaften der Frau gegangen sei. „Merkwürdig“, sagte die Schauspielerin, „seit fünf Jahren lebe ich in Deutschland, hier habe ich bisher bei drei Theaterinszenierungen mitgemacht, und jedesmal musste ich den Teufel spielen ...“ „Beruhige dich, Marie-Helene“, sagte der Regisseur, streichelte ihr über den großen Hintern und lächelte milde, „das hat absolut nichts damit zu tun, dass du zufällig schwarz bist.“