Berühmt wird, wer Körbchen macht

Zum Auftakt seiner zweiten NBA-Saison hofft Basketball-Nationalspieler Dirk Nowitzki, dass er sich nicht nur im Lösen von Kreuzworträtseln verbessert hat  ■   Von Thomas Winkler

Berlin (taz) – Vor genau einer Woche reiste Holger Geschwindner aus dem heimatlichen Würzburg nach Dallas, Texas. Die Mission des ehemaligen DDR-Nationalspielers: Psychologische Aufbauarbeit leisten, Heimweh abbauen, Dirk Nowitzki retten. Der Hilferuf des größten deutschen Basketball-Talents an seinen Entdecker, langjährigen Trainer und väterlichen Freund erging aus gegebenem Anlass. Heute startet die neue Saison der NBA, die zweite von Nowitzki bei den Dallas Mavericks, und der 21-Jährige befindet sich in einer veritablen Wurfkrise.

Dabei begannen die Vorbereitungsspiele viel versprechend: Im ersten Test gegen die Charlotte Hornets traf Nowitzki 9 von 14 Versuchen aus dem Feld und schien auf dem besten Wege, endlich all die hohen Erwartungen zu erfüllen, die die Mavericks in ihn gesetzt hatten. Doch dann ging nicht mehr viel: In den restlichen sechs Testpartien gurkte Nowitzki eine Trefferquote von 29 Prozent zusammen, nur 4 von 12 Würfen trafen beim abschließenden Vorbereitungsspiel gegen die Milwaukee Bucks (79:101). Nun muss also wieder Geschwindner helfen, „the wunderkind“ (Sports Illustrated) auf die beste Liga der Welt einzustimmen.

Dabei hatte Don Nelson, Trainer und Manager der Mavericks, schon nachdem Nowitzki vor anderthalb Jahren als neunter Spieler gedraftet worden war, ihn mit Larry Bird verglichen und zum kommenden Rookie des Jahres erklärt. Doch stattdessen verschwand der Würzburger in seiner ersten NBA-Saison nach einigen schlechten Spielen auf der Bank. Erst als die Mavericks endgültig keine Chance mehr auf die Play-offs hatten, bekam er wieder mehr Spielzeit und zeigte in Ansätzen seine Möglichkeiten. Auch damals schon war Geschwindner kurzfristig eingeflogen worden: „Dann haben wir ein bisschen nach unserer Technik trainiert und dann hat Dirk in Phoenix 29 Punkte gemacht.“ Doch vor allem ging es die ganze Saison „hoch und runter“, weiß Nowitzki sanft lächelnd heute zu erzählen, und dass es nun gelte, „zu versuchen, da mehr Konstanz reinzukriegen“.

Nowitzki ist ein zurückhaltender Mensch. Andere würden ihn vielleicht langweilig nennen. Seine Freizeit in den USA verbringt er zum großen Teil mit deutschsprachigen Kreuzworträtseln, die ihm seine Oma schickt. Für den 59-jährigen Nelson, der zur alten, eher konservativen Trainergarde zählt, ist der ruhige Charakter einer der Gründe, warum er den deutschen Nationalspieler unbedingt haben wollte: „In einer Liga voller Trash-Talker ist ein bisschen Bescheidenheit zur Abwechslung mal sehr angenehm.“ Doch mit Bescheidenheit allein wird man nicht NBA-Spieler. „Sein Vorteil ist es“, sagt Geschwindner, „dass er mit 2,10 Meter technische Dinge kann, die normalerweise bei zwei Metern nicht mehr gehen“. Nelson glaubt auch weiterhin, dass sein Nachwuchsprojekt „vom Talent her mit jedem in der Liga mithalten“ kann. Deswegen setzten die Mavericks, die in den letzten zehn Jahren keine Saison mit mehr Siegen als Niederlagen abschlossen und als einziges NBA-Team in den 90ern niemals die Play-offs erreichten, so viele Hoffnungen in Nowitzki.

Andererseits haben gerade die Mavericks in den letzten Jahren bewiesen, wie man sich in Talenten täuschen kann, und eine lange Tradition an verschenkten Draftpicks hingelegt. Tatsächlich weiß auch Nowitzki selbst, dass „es noch an vielen Sachen hapert“, allem voran Athletik und Beinarbeit, was vor allem in der Verteidigung zum Problem wird, spielt er als Small Forward doch meistens gegen kompaktere, kleinere und somit oft schnellere Gegner. Aber die in der alten Heimat des öfteren geäußerte Kritik, dass er, als Star des DJK Würzburg von nahezu allen Verteidigungsaufgaben befreit, eine reine Scorer-Mentalität entwickelt habe, weist Nowitzki zurück: „Ja, Verteidigung ist viel Einstellungssache, aber ich glaube nicht, dass es da bei mir fehlt.“

Dass die Verteidigungsarbeit seines Schützlings noch einiger Verbesserung bedarf, gibt Geschwindner bereitwillig zu, auch wenn es die feste Überzeugung des Olympia-Teilnehmers von 1972 ist, „dass man nur berühmt wird, wenn man Körbchen machen kann, nicht, wenn man anderen in die Waden beißt.“ Trotzdem hat man im Sommer im heimischen Würzburg intensiv an der Defense gearbeitet. Auch die neue Regelauslegung, die die NBA den Schiedsrichtern verordnet hat, sollte Offensive befördern, das Spiel schneller machen, den physischen Kontakt einschränken und vor allem Spielertypen wie Nowitzki zugute kommen. Er weiß selbst, dass es „jetzt auch mal langsam Zeit für Erfolge wird, sonst kommen die Zuschauer nie“.

Im erfolgsverwöhnten Texas werden die Mavericks bisher eher belächelt. Zum Jubeln taugen da schon eher NBA-Champion San Antonio Spurs, NHL-Meister Dallas Stars oder der mehrfache Super-Bowl-Gewinner Dallas Cowboys. Selbst die Texas Rangers, jahrelang eines der schlechtesten Baseball-Teams im Lande, haben sich inzwischen zum Play-off-Teilnehmer gemausert. Nowitzki denkt, dass das Erreichen der Play-offs für die Mavericks „auf jeden Fall realistisch“ sei. Vielleicht hofft er es auch nur. In jedem Fall stehen er und seine Teamkollegen mit dieser Einschätzung recht allein da. Bloß Vancouver hat mit einem Erfolg in der Preseason weniger gewonnen als Dallas (2). Sports Illustrated beurteilt in seiner Saison-Vorschau nur drei Teams noch schlechter. Für Cedric Ceballos, der einzige Spieler der Mavericks, der schon einmal ein All-Star war, sind die Play-offs trotzdem möglich, „wenn wir halbwegs gesund bleiben“. Genau das ist aber wohl das Problem, denn längst hat die „alljährlichen Verletzungskrise der Mavericks“ (Dallas Morning News) eingesetzt. So musste Nelson, weil seine Akteure schon während der Vorbereitung „wie die Fliegen fielen“, Nowitzki teilweise doch wieder als Power Forward einsetzen. Von der Größe her zwar kein Problem, aber auch nach vermehrtem, sommerlichem Krafttraining ist der auf der ungeliebten Position verglichen mit den meisten seiner Gegenspieler immer noch ein Hemd. Da der etatmäßige Power Forward Gary Trent aber wohl die ersten beiden Monate der Saison ausfallen wird, kündigte Nelson bereits an, dass sich Nowitzki wohl erst mal mit der ungeliebten Position wird anfreunden müssen.

Das allerdings dürfte ein Klacks sein, verglichen mit der Aufgabe, die tatsächlich auf seinen Schultern liegt: Die Dinge zum Guten zu wenden für das erfolgloseste US-Profiteam der Neunzigerjahre. Ob Holger Geschwindner auch das wird richten können?