Eine Mixtur aus Neoliberalismus und Keynes

■ Der Star-Ökonom Paul Krugman zeigt, dass der Staat auch in Zeiten globalisierter Märkte aktiv eingreifen kann. Und muss – denn sonst droht der wirtschaftliche Zusammenbruch

Gerade die globalen Märkte brauchen staatliche Regeln. Gleichwohl ist Krugman durchaus kein Marktverächter

Wirtschaftswissenschaftliche Abhandlungen sind im allgemeinen ungefähr so verständlich wie die Zwölftonreihen des späten Schönberg. Paul Krugman aber will gehört werden, nicht nur von Zunftkollegen. Deshalb pflegt der Star-Ökonom, Professor am Massachussetts Institute of Technology, einen eigenen Stil: Ökonomische Reflektionen gespickt mit einem Schuss Mathematik und aufgepeppt durch pfiffige Beispiele aus den Niederungen des Alltags – griffig und verständlich formuliert. Vor kurzem legte der Vielschreiber „Die große Rezession. Was zu tun ist, damit die Weltwirtschaft nicht kippt“ vor.

Auf dem Titelbild der deutschen Übersetzung ist ein Kartenhaus abgebildet, das so aussieht, als könne es vom geringsten Windstoß zum Einsturz gebracht werden. Und in der Tat ist das die Metapher, um die Krugmans Buch immer wieder kreist: Märkte, vor allem die globalen, sind unstete Gesellen und können katastrophale Krisen auslösen. Aus diesem Grund sollte ihnen der Staat ab und an unter die Arme greifen.

Doch Krugman ist kein Marktverächter. Die wirtschaftlichen Liberalisierungen der letzten Jahre, so stellt er gleich zu Beginn fest, haben einigen Ländern ein enormes Wirtschaftswachstum beschert – gleichzeitig ist damit aber die Verletzlichkeit der Märkte gewachsen. Dies liegt vor allem an den global vernetzten Finanzmärkten. Auf diesen konkurrieren Nationalstaaten um die Gunst des global mobilen Kapitals. Gelenkt werden die gewaltigen internationalen Geldströme von den subjektiven Renditeerwartungen der Kapitalanleger. Diese lassen sich idealerweise von den wirtschaftlichen Rahmendaten der betroffenen Länder leiten. Oft sind es aber psychologische Faktoren, die die Entscheidungen der Investoren beeinflussen – und damit Aufstieg und Niedergang ganzer Volkswirtschaften bestimmen. Denn, wie auch immer eine Entscheidung zustande gekommen ist, ihre Konsequenzen sind real: „Die Fiktion wird Wirklichkeit, weil sich der Glaube eine eigene Realität schafft.“ Um das Vertrauen der Anleger nicht zu erschüttern, führen nationale Regierungen wirtschaftpolitische Maßnahmen durch, die den Therapieempfehlungen der Theorie widersprechen: So erhöhten die asiatischen Tigerstaaten – unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds – nach den ersten Anzeichen der Krise die Zinsen, um die Rendite des angelegten Kapitals zu erhöhen und damit – vergeblich – eine Abwanderung zu verhindern. Nach allen Regeln der Wirtschaftskunst aber, so Krugman, wäre eine Zinssenkung angebracht gewesen, um dadurch die matte Konjunktur zu beleben.

Die Globalisierung der Finanzmärkte schafft ein makroökonomisches Dilemma: Nachfrageorientierte Konjunkturpolitik, wie sie John Maynard Keynes einst lehrte, vergrault Investoren, weil sie deren Vertrauen unterminiert. Deshalb greift sie nicht. Krugman aber wäre nicht der, der er ist, hätte er keinen Ausweg parat: In Europa, wo die Gefahr eines weiträumigen Kapitalexodus nicht so groß ist, könne sich eine aktive Geld- und Finanzpolitik durchaus positiv auf die Konjunktur auswirken. Die Europäische Zentralbank „muss die Zinsen weiter senken, damit die Nachfrage anspringt.“ In weniger entwickelten Ländern sollten – unter bestimmten Voraussetzungen – Kapitalverkehrskontrollen fluchtwillige Investoren bändigen.

Krugmans Denken lässt sich allerdings nicht in eine starre Angebot-Nachfrage-Dichotomie zwängen: Ohne angebotsorientierte strukturelle Reformen laufe auch ein nachfragegeschmierter Konjunkturmotor nicht rund: So betont Krugman, dass staatliche Interventionen in die Wirtschaft eine latente Gefahr bergen. Kapitalverkehrskontrollen zum Beispiel können von korrupten oder popularistischen Machthabern dazu benutzt werden, in die eigene Tasche oder die ihrer Wähler zu wirtschaften – mit fatalen volkswirtschaftlichen Folgen. In Aufsätzen und Interviews fordert er die Deregulierung der Arbeitsmärkte und die Abschaffung von Mindestlöhnen.

Krugman rehabilitiert die Rolle der Konjunkturpolitik in global vernetzten Märkten ohne bei einer reinen Keynes-Exegese stehen zu bleiben. Insofern hebt sich sein Buch angenehm vom neoliberalen Standortdiskurs ab. Weil er auf die Nachfrage setzt, beruft sich auch die Linke gerne auf ihn. Denn Nachfragefans gehen davon aus, dass die Wirtschaft dann wächst, wenn Staat oder Konsumenten mehr Geld ausgeben. Das bedeutet fast immer Umverteilung in irgendeiner Form – ein angenehmer sozialer Nebeneffekt.

Aber eben nur ein solcher, denn Krugman geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um die Stabilisierung der Konjunktur. Auch in der heißesten Theorienschmiede der amerikanischen Ostküste bleibt Ökonomie die Lehre von der effizienten Verwendung knapper Ressourcen, nicht die ihrer sozial oder wie auch immer gerechten Verteilung. Mark Schieritz

Paul Krugman: „Die große Rezession. Was zu tun ist, damit die Weltwirtschaft nicht kippt“. Mit einem Nachwort von Irwin L. Collier, Campus-Verlag, Frankfurt/Main 1999, 237 Seiten, 49,80 DM