Die Berliner Situation ist erreicht“

■  Planung macht den Meister: Am Wochenende wurde in Berlin darüber diskutiert, wie und warum Fotografie ins Museum gehört

Die Museen sehen ihre Fotosammlungen nicht als Fundus, sondern als wichtige Arbeitsinstrumente

In Paris war es der Bürgermeister Jacques Chirac, der in den Achtzigerjahren die Förderung von Jazz, Cartoons und Fotografie beschloss. 1996 führte die Initiative zur Eröffnung des Maison Européenne de la Photographie. In England, so erzählt Nevill Amanda, Direktorin des National Museums of Photography, Film & Television in Bradford, habe die dringende Notwendigkeit, der heruntergekommenen Industriestadt eine zukunftsweisende Identität aufzubauen, den politischen Willen für den Aufbau eines Medienmuseum geprägt. Die überraschendste Geschichte kommt aus Holland: Dort vermachte 1997 ein unbekannter Fotoamateur 22 Millionen Gulden für die Gründung eines Fotomuseums. Um die Rendite aus diesem Vermögen streiten sich seitdem die Städte Rotterdam und Amsterdam. Das Foto Archief Rotterdam braucht das Geld, um eine fotografische Abteilung in einem geplanten Zentrum für Film- und Medientechnologie einzurichten, die Stiftung dagegen will ein eigenes Haus in Amsterdam.

In einem Punkt glichen sich die Geschichten, die auf dem Symposium „Fotografie im Zentrum. Centrum für Photographie“ in der Berliner Humboldt-Universität vorgetragen wurden: Nicht die Inhalte der Fotografie waren letztendlich für die Konzepte der Gründer entscheidend, sondern Standortfragen und politische Partner. Dennoch ist es kein Zufall, dass Fotografie in Europa in den letzten Jahren in das Zeitalter ihrer Musealisierung eingetreten ist. Rückblickend wird in dem Moment ihrer Ablösung durch digitale Bilder das vehemente Versäumnis spürbar, die Veränderung der Welt durch die Fotografie wirklich begriffen zu haben. Sie hat, wie der Wiener Fotohistoriker Carl Aigner betonte, nicht nur den Bildbegriff der Kunstgeschichte zertrümmert, sondern jede Form von Wahrnehmung formatiert. „Eine Mediengesellschaft, die über die Kamera zu ihrer Identität findet, muss auf einer Metaebene über dieses Medium nachdenken“, forderte er.

Anlass der Zusammenkunft von Fotografen, Kameramännern, Galeristen und Kunsthistorikern, die die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Berlin) und die Deutsche Gesellschaft für Photographie (Köln) eingeladen hatten, war der Plan der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in einem „Deutschen Centrum für Photographie“ Teile der fotografischen Archive aus ihren 17 Museen zusammenzuführen und mit einer neu aufzubauenden Fotosammlung mit Stars wie Helmut Newton zu verbinden. Seit das Projekt vor einem Jahr durchgesickert war, wuchsen Neugierde und Skepsis: Wie passen die heterogenen Quellen etwa aus Völkerkunde und Kunstgewerbe zusammen, was ist überhaupt drin im Sack, geht es auch um zeitgenössische Kunst oder vornehmlich Geschichte, droht der angewandten Fotografie nicht die Herauslösung aus dem Kontext und Reduzierung auf bloße Ästhetik und immer wieder: Wer soll das bezahlen?

Konkrete Antworten auf diese Fragen konnten der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Peter-Klaus Schuster, und der im Juni ernannte Projektleiter Manfred Heiting kaum geben. „Die Berliner Situation ist erreicht. Wir haben einen brillanten Diskurs um eine leere Mitte“, gab Schuster zu. Die Museen hätten ihr vages und ungesichertes Konzept gerne weniger öffentlich ausgearbeitet.

Heiting, selbst Fotograf, Sammler und ehemals Leiter der Photokina in Köln, stellte einen ausführlichen Arbeitsplan für die nächsten zwei Jahre vor, der mit Sichtung von geschätzten 10 Millionen Fotografien beginnt, Akquisition von Nachlässen und den Aufbau eines Studienprogramms für die Arbeit am fotografischen Original umfasst. So räumte er der Forschung einen ebenso großen Stellenwert wie Ausstellungen und Publikationen ein. Jeder Punkt war dabei mit der Suche nach Koproduzenten verbunden.

Doch wenn Heiting auch kein mögliches Desiderat auszulassen suchte, konnte er doch die Befürchtungen nicht mindern, dass für das zentrale Institut die Highlights aus den fotografischen Archiven abgezogen werden. Und so lag einiges an Zündstoff im Wort „Konvolute“, mit dem er das in den Depots Verborgene bezeichnete. Die Museen selbst dagegen sehen ihre Fotografien als gewachsene Sammlungen und notwendige Arbeitsinstrumente. Sie sind sauer, weil sie bisher nicht an der Konzeption beteiligt wurden.

Urs Stahel vom Fotomuseum Winterthur versuchte zu schlichten: Man solle nicht zuerst eine Klärung des Status der Fotografie zwischen Kunst und Gebrauch verlangen, sondern mit dem Bestehenden arbeiten. Wenn er künstlerische Fotografie zeigt, mosern die Werbefotografen aus Zürich, erzählte Stahel, bei Industriefotografie und Reportagen fühlt sich dagegen die Künstlerszene angegriffen. Unbeirrbar von solchem Lobbyismus thematisierte er trotzdem Fahndungsfotografie, die Rhetorik von Politikerfotos und Kunst im Medium der Fotografie, weil erst all diese Gebiete zusammen den Kontinent Fotografie auszeichnen.

Gleich zwei Preise wurden in Berlin letzte Woche an Fotografinnen verliehen, die in den Zwanzigerjahren an der Entwicklung der Fotografie als emanzipatorisches Medium teilhatten: Marianne Breslauer ehrte der Senat mit dem Hannah-Höch-Preis, Eva Besnyö wurde von der Deutschen Gesellschaft für Photographie mit dem Dr.-Erich-Salomon-Preis ausgezeichnet. Beide waren in Berlin vom kleinen Verein Verborgenes Museum, der stets auf der Suche nach vergessenen Künstlerinnen ist, vor über zehn Jahren wiederentdeckt worden. Der lange Weg zu einer breiteren Rezeption ist typisch für die Stadt, in der es zwar an die hundert kleinere Orte für Fotografie gibt, aber kein bekanntes Forum. Das Symposium wollte nicht zuletzt zwischen den Staatlichen Museen und einer politisch vernachlässigten Fotoszene Kontakte stiften. Noch aber gehen die Erwartungen weit auseinander.

Katrin Bettina Müller