Die Bremser werden immer dreister

■ Zwischenbilanz der Klimakonferenz in Bonn: Länder suchen Schlupflöcher. Forscher fordern an Klimakatastrophen angepasstes Bauen. Proteste werden zugelassen

Bonn (taz) – Während die Bonner noch ihren allerheiligsten Tiefschlaf halten, hört man in der U-Bahn ein ungewohntes Sprachengewirr, Französisch, Arabisch, Spanisch. Es sind die befrackten Delegierten, die gestern ihre zweite Arbeitswoche bei der fünften internationalen Klimakonferenz starteten. Es wird langsam spannend, denn seit heute sind die Experten und Unterhändler nicht mehr allein. Minister aus 80 Ländern werden jetzt dabei sein. Sie sollen die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen kommentieren und absegnen.

Die bisherigen Sitzungen waren größtenteils geheim, trotzdem ist Jürgen Maier, Sprecher des Forums Umwelt und Entwicklung, davon überzeugt, dass nicht viel passiert ist. „Was wir beobachtet haben, ist, dass die Bremser in dieser Diskussion immer dreister werden – zum Beispiel Australien.“ Das Land sei eines der wenigen, die in den vergangenen Konferenzen erreicht hätten, dass sie ihre Treibhausgas-Emissionen nicht zurückfahren müssen, sondern sogar noch steigern dürfen. „Nun versuchen sie sogar, noch mehr herauszuschlagen, indem sie ihre Emissionen im Referenzjahr 1990 hochtreiben“, sagt Maier.

Über viele Punkte sind die Delegierten offensichtlich noch zerstritten, oder sie suchen weitere Schlupflöcher. So hat Kanada vorgeschlagen, Atomkraft bei dem Clean-Development Mechanism (CDM; es geht um saubere Entwicklung in anderen Ländern) anrechnen zu lassen. Demnach gälte eine kanadische Firma als Klimaschützer, wenn sie in einem Entwicklungsland ein AKW baut. Das deutsche Umweltministerium stemmt sich allerdings gegen die Option. „Atomkraftwerke sind energetisch ineffizient, ökonomisch nicht wettbewerbsfähig und behindern den Umstieg auf eine an Effizienz und erneuerbaren Energien orientierte Umweltpolitik“, so ein Sprecher.

Die Nichtregierungsorganisationen fordern, dass weder große Staudämme noch Kohleprojekte, noch nukleare Energie Bestandteil des CDM werden dürfen. Lautstark machen die Kritiker vor den Türen der Salons auf ihr Anliegen aufmerksam. „Taking action on climate change“ heißt ein Bericht der USA. „Faking action on climate change“ steht auf den Transparenten, die die Umweltschützer ungehindert entrollen dürfen.

Das Wissenschaftlergremium International Panel on Climate Change (IPCC) hat währenddessen andere Sorgen. Robert Watson, Vorsitzender des Panels und Leiter der Umweltabteilung der Weltbank, malt weiter düstere Bilder an die Wand. Wenn die Temperaturen tatsächlich gemäß den Modellen steigen, werden besonders die Armen darunter leiden. „Heute leben 92 Prozent der Weltbevölkerung mit einer relativ ausreichenden Menge Wasser. Im Jahr 2050 könnte dieser Anteil auf 58 Prozent sinken“, so Watson.

„Selbst wenn heute noch die Emissionen gestoppt werden würden, wären die einmal in Gang gesetzten Mechanismen der Klimaveränderung noch lange nicht gestoppt“, meint Watson. „Wir müssen uns einfach an die Klimaveränderung anpassen. Wer heute einen Hafen baut, sollte ein Ansteigen des Meeresspiegels mit einbeziehen. Das wird ihn heute weniger kosten als in dem Moment, wenn der Wasserspiegel tatsächlich steigt.“ Maike Rademaker