In der FDP rebelliert die Großvätergeneration

■ Chor mit Bässen: Die alten Männer der Partei, Genscher und Baum, attackieren den Nischen-Liberalismus à la Gerhardt und Westerwelle und wollen die frühere liberale FDP zurückhaben. Gerhardt ohne Hang zur Selbstkritik

Berlin (taz) – Den alten FDP-Männern reißt die Hutschnur. Die Klausurtagung, zu der sich die FDP-Bundestagsfraktion während der vergangenen beiden Tage zurückgezogen hatte, begleiten sie mit bitterer Kritik an der Enkelgeneration.

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum forderte im InfoRadio Berlin, die Liberalen müssten „selbstkritisch“ Bilanz ziehen, wie es zu „dieser schrecklichen Situation“ gekommen sei. Nach der Serie von Niederlagen bei den vergangenen Landtagswahlen sei die Partei in einer „Existenzkrise wie nie zuvor“. Er warf Generalsekretär Guido Westerwelle und Parteichef Gerhardt vor, sie hätten den falschen Kurs eingeschlagen. Die FDP sei zu einer Wirtschaftspartei geschrumpft. Sie spreche nur über Steuersenkungen und vernachlässige wichtige liberale Themen. Im Osten gelte die FDP als „Westpartei im schlechtesten Sinne“.

Baum wandte sich auch gegen ein Engagement des Modemachers Wolfgang Joop in der FDP. Für Führungsaufgaben habe sich Joop noch nicht qualifiziert. „Früher hatten wir Quereinsteiger, die hießen Maihofer und Dahrendorf, jetzt haben wir Herrn Joop. Das ist doch ein gewisser Abstieg an politischer Kompetenz.“

Bereits am Wochenende hatte der FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher seine Partei zu einer Kurskorrektur aufgefordert, um wieder klares liberales Profil zu erlangen: „Jetzt ist es an der FDP, die gesamte Breite ihrer Politik darzustellen und den Irrweg in einen Nischen-Liberalismus nicht fortzusetzen.“

Auch die sozialpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Irmgard Schwaetzer, sieht „inhaltlichen Klärungsbedarf“. Vor allem in Ostdeutschland werde die Politik der FDP von vielen Menschen als „zu hart“ empfunden. Sie wendet sich vehement gegen die „zwölf Thesen zu den Grundsätzen liberaler Sozialpolitik“ der FDP-nahen Friedrich Naumann-Stiftung. Darin heißt es, der Staat solle sich darauf beschränken, Menschen in Notlagen zu helfen, aber nicht „soziale Unterschiede egalisieren.“

Schwaetzers Gegenthese lautet: „Freiheit braucht soziale Sicherheit.“ Nur wenn der Staat ein sicheres Netz gegen den sozialen Absturz anbiete, seien die Menschen bereit, sich selbstständig zu machen und unternehmerische Risiken einzugehen.

Parteichef Wolfgang Gerhardt hatte die FDP-Bundestagsfraktion am Sonntag in ein Landhaus an der Havel zur Klausur geladen. Er ermahnte die Liberalen, nach außen mehr Geschlossenheit zu zeigen und nicht „wie ein Hühnerhaufen“ durcheinander zu gackern.

Vor Beginn der Klausur hatte er zugegeben, dass in der Parteiarbeit vieles „verbesserungswürdig“ sei. Allerdings, so Gerhardt, könne er nicht erkennen, dass seit seiner Amtsübernahme im Juni 1995 etwas grundsätzlich falsch gelaufen sei. Tina Stadlmayer