Weiterer Imageschaden für den Boeing-Konzern

■ Einen Tag vor dem Absturz der Boeing 767 wurde bekannt, dass der amerikanische Flugzeughersteller interne Untersuchungen über Unglücksursachen jahrelang zurückhielt

Berlin (taz) – Flugzeugkatastrophen wie der Absturz der Egypt-Air-Maschine über dem Nordatlantik sind vor allem schrecklich für die Opfer und ihre Hinterbliebenen. Die Flugzeughersteller, deren Maschinen abstürzen, haben ganz andere Sorgen. Jeder Absturz schadet dem Image. Im äußerst harten, weltweiten Konkurrenzkampf kann man sich nicht leisten, allzu oft negative Schlagzeilen zu machen. Für das US-Unternehmen Boeing kommen sie zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. In letzter Zeit gab es eine Serie von Pannen und Unglücken mit Boeing-Maschinen. Das schlimmste war 1996 der Absturz einer TWA-Boeing 747 vor der Küste Long Islands.

Besonders peinlich ist für das Unternehmen aus Seattle aber, dass just einen Tag vor dem Absturz der Boeing 767 am Sonntag die Washington Post einen Bericht veröffentlichte, der kein gutes Licht auf das Unternehmen wirft: Der Zeitung zufolge hatte Boeing bereits vor 16 Jahren Probleme mit den Treibstofftanks ihrer Flugzeuge untersucht, den Bericht darüber aber erst vor kurzem den amerikanischen Behörden übergeben. Diese verspätete Informationspolitik des Unternehmens hatte die Nationale Transportsicherheitsbehörde (NTSB) sehr verärgert.

Bei der hausinternen Boeing-Untersuchung ging es nämlich um Probleme, die als mögliche Ursache für den Absturz einer Boeing 747 der amerikanischen Fluggesellschaft TWA 1996 vor Long Island gelten – und die möglicherweise auch beim Todesflug der Egypt-Air-Maschine eine Rolle gespielt haben könnten.

Das Problem mit den Tanks nicht ernst genommen

Der republikanische Senator Charles E. Grassley ging nach Bekanntwerden der Verzögerungstaktik bei Boeing sogar so weit zu sagen, dass eine rechtzeitige Übergabe der Untersuchungsberichte das TWA-Unglück mit 230 Toten möglicherweise hätte verhindern können. Die Boeing-Untersuchungen konzentrierten sich auf die Frage, die auch die Ermittlungsbeamten im Fall TWA stark beschäftigt hat: die Möglichkeit, dass durch Überhitzung im Haupttank extrem leicht entzündliche Dämpfe entstehen. Dies wird von den Experten inzwischen als wahrscheinlichste Ursache für die Explosion der TWA-Maschine angesehen.

Ein Boeing-Sprecher sagte, sein Unternehmen sei „peinlich berührt“, weil es die eigene Studie bis zum Juni dieses Jahres „übersehen“ habe. Der Grund dafür sei gewesen, dass sich die Untersuchungen nicht auf zivile Maschinen, sondern auf Militärmaschinen konzentriert hätten. Die Mitarbeiter, die mit diesen Untersuchungen beschäftigt waren, hätten die Erkenntnisse deshalb wohl nicht für relevant gehalten.

Für Bill Kauffman, ein Experten der University of Michigan, der sich mit der Erforschung von Flugzeugexplosionen beschäftigt, ist es absolut unverständlich, warum Boeing nicht besser und früher kooperiert hat: „Ich weiß nicht, ob dieses Dokument allein entscheidend gewesen wäre, aber es hätte auf jeden Fall einen wichtigen Beitrag liefern können, damit man das Problem der Tanks früher ernst genommen hätte“, sagte Kauffmann.

Während diese Vorwürfe durch das noch ungeklärte Unglück vom Sonntag weitere Brisanz erhalten und es für Boeing immer schwieriger wird, sich zu rechtfertigen und einen größeren Imageschaden zu vermeiden, glauben deutsche Experten nicht an absichtliche Vertuschungsmanöver. Helmut Krause von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung in Braunschweig würde das „zunächst einmal ausschließen“.

Auf jeden Fall zu spät für die 217 Menschen an Bord kommen die strengeren Vorschriften, die die amerikanische Flugsicherheitsbehörde erst am vergangen Donnerstag erlassen hat. Die neuen Regeln sollen Flugzeughersteller verpflichten, die Sicherheitsvorkehrungen in ihren Tankanlagen zu verbessern und binnen einem Jahr neue Wartungsprogramme zu entwickeln.

Lukas Wallraff