In allen Fächern gut

■ Besserwisser und Distanzfetischisten, garantiert ohne Millennium: Die amerikanischen Indierock-Helden Pavement verabschiedeten sich im Columbia Fritz von den Neunzigern

Die Sprüchlein, mit denen Plattenfirmen neue Platten anpreisen, haben in der Regel wenig Aussagekraft. Selten aber hat eines so gut gepasst wie auf den Anzeigen zu „Terror Twilight“, dem diesjährigen Album der amerikanischen Band Pavement. Dort heißt es: „Vielleicht eines der besten Alben des Jahres – garantiert ohne Millennium“. Lässt sich über die eine Aussage wie üblich streiten, gibt's an der zweiten wenig zu rütteln: Pavement haben mit Elektronik nichts am Hut, sie machen Postrock ohne Post. Und an eine Zukunft von und mit Pavement mag man auch nicht denken.

Die Band hat vor allem das zurückliegende Jahrzehnt in Sachen Indierock bestimmt, hat gezeigt, wie gut man Rockmusik mit dem Wissen, dass Rock eigentlich tot sei, spielen konnte. Doch noch mehr als schon der Vorgänger „Brighten The Corners“ klingt „Terror Twilight“ nach Alterswerk, nach späten Pavement: Möglicherweise das schönste der Band, mit Sicherheit aber das am wenigsten in eine neue Rock-Zukunft weisende – state of the art eben.

Diese Erkenntnisse und nicht zuletzt das komisch warme Herbstwetter mitsamt anderen irritierenden Vibes verstärken am Montagabend den Eindruck, dass beim Pavement-Konzert im leidlich vollen Columbia Fritz eine Art Abschiedstimmung in der Luft liegt. Man guckt halt nochmal und erweist der Band die (letzte?) Ehre. Die meisten, die da sind, kennen Pavement seit ihrem ersten Album, reden über ihre Lieblingssongs, haben sie mehr als einmal gesehen und erinnern sich: Wie die Band bei ihrem ersten Berliner Auftritt noch einen Tänzer und zweiten Trommler dabei hatte (jemand wie Bez von den Happy Mondays, nur durchgeknallter) und dieser sich bei jedem Besucher per Handschlag verabschiedete. Wie voll das Metropol 1997 war, wie gut es da rockte, trotz der High Llamas als Vorband.

Als Pavement dann die Bühne betreten, wundert man sich einmal mehr, wie spurlos die Neunziger in Sachen Outfit an der Band vorbeigegangen sind. Die bunten, im Las-Vegas-Style leuchtenden Lichterketten, die das Equipment auf der Bühne zieren, passen überhaupt nicht zu den fünf Musikern mit ihren Nicht-Haarschnitten, ihren T-Shirts und Jeans. Schon gar nicht zu Drummer Steve West, der mit Brille, Strubbelkopf und Vollbart wie die Karikatur eines zerstreuten 50-jährigen College-Professors aussieht. Ziemlich cool, so uncool zu sein, und sich keinen Deut um Styles zu kümmern.

Mit dem 94er Hit „Cut Your Hair“ beginnt das Konzert ohne viel Aufhebens, und dann dekliniert die Band um Sänger und Songschreiber Steven Malkmus entspannt die Rocktabelle durch: Art-Rock, Prog-Rock, Indie-Rock, Dampfwalzen-Rock, Sommer-Rock. Malkmus macht dabei den Eindruck, als sei er einer dieser Menschen, die schon auf der Schule in allen Fächern gut waren und trotzdem nie als Streber bezeichnet wurden. Die am besten Schach spielen konnten und über allen Dingen standen, die cool, aber nie wirklich sympathisch waren. Viele der Songs von Pavement klingen an diesem Abend so. Pavement kennen und können alles: Sie sind Besserwisser, Ironiker, Distanzfetischisten.

Doch zuweilen wissen sie auch zu begeistern, da springen nicht nur in den ersten Reihen alle hoch: Bei „Summer Babe“, bei „Gold Soundz“, bei „Shady Lane“. Bei den Songs, die mehr als einen Sommer gehalten haben, die locker sind, die schwingen, in denen Malkmus' eigenartig-brüchige Stimme am besten kommt. Und genau diese Songs werden bleiben. Die hat man mit im Gepäck für das nächste Jahrtausend, die funktionieren auch später noch – Erinnerung hin, Erinnerung her.

Gerrit Bartels