Zeitung aus der Werbeabteilung

Die „Los Angeles Times“ berichtete ausführlichst über die Eröffnung eines neuen Sportstadions – und ist selbst an der Sportstätte beteiligt  ■   Aus Washington Peter Tautfest

Gutes Geschäft und gute Zeitungen sind kein Widerspruch.“ So hatte Mark Willes auf die Frage geantwortet, was man in fünf Jahren von seinem Versuch denken würde, das Konzept des Blattmachens bei der LA Times völlig umzukrempeln.

Jetzt, zwei Jahre später, ist es passiert. Bei der LA Times ist ein Skandal aufgedeckt worden, der alle Befürchtungen zu bestätigen scheint, die der Versuch heraufbeschwor, die Mauern zwischen Redaktion und Marketing im Dienste der Verbesserung des „Markenartikels Zeitung“ einzureißen. Mark Willes galt als Enfant terrible des Zeitungswesens und als der Henker redaktioneller Unabhängigkeit, als er 1997 aus dem Management der Times Mirror Gruppe kommend die Redaktion der LA Times übernahm und deren Leserschaft durch ein völlig neues Konzept vergrößern wollte.

Am 10. Oktober dieses Jahres widmete die LA Times ihr gesamtes Sonntagsmagazin einem einzigen Thema: 168 Seiten beschäftigten sich mit dem neuen Stadion der Lakers (und anderer Sportmannschaften) in der Down Town von LA. Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass sich eine Zeitschrift mit einer unternehmerischen Großtat beschäftigt. Der Clou hier aber ist: Die LA Times ist am Stadion beteiligt, dessen Bau nicht nur Einnahmen abwerfen, sondern auch zur Wiederbelebung der ausgestorbenen Down Town von LA beitragen soll.

Die „LA Times“ kann kostenlos im Stadion werben

Die Times kann kostenlos im Stadion werben und profitiert mithin von den Gewinnen dieser 400 Millionen Dollar Investitionen. Damit nicht genug: Wie letzte Woche die alternative Wochenzeitschrift New Times berichtete, teilten sich LA Times und das Stadion-Konsortium die zwei Millionen Dollar Gewinn aus Werbeeinnahmen und Verkauf des Sonntagsmagazins. Der verantwortliche Redakteur des Magazins, Drex Heikes, schwört Stein und Bein, dass er von dem Arrangement nichts wusste und sich die Redaktion unabhängig und kritisch mit dem Konzept auseinandersetzen konnte, durch Investitionen in den Sport Innenstädte zu sanieren. Doch in den Redaktionsstuben der Times kocht der Zorn. Man sieht alle Befürchtungen bestätigt, die sich mit Willes Amtsantritt vor zwei Jahren verbanden – auch wenn dieser die Chefredaktion inzwischen abgegeben hat und ins Management zurückgekehrt ist.

Der Zeitungsmarkt in Amerika ist eng. In den letzten 25 Jahren mussten mehr als 200 Zeitungen schließen, die Zahl der Zeitungsleser ist in den letzten 12 Jahren um 12 Prozent zurückgegangen, obwohl die Bevölkerung im gleichen Zeitraum um 10 Prozent gewachsen ist. Willes wollte die Leserzahlen der LA Times von 1,05 auf 1,5 Millionen steigern. Ein Potenzial sah er u. a. in der halben Million Frauen, die nur die Wochenendausgabe lesen, und den 100.000 Kleinunternehmern, die die LA Times überhaupt nicht lesen. Seine Idee: Die LA Times als Markenartikel zu entwickeln und dabei so zu verfahren, wie das die Hersteller anderer Produkte auch schon machen: Idee, Konzept, Design, Herstellung, Werbung und Marketing nicht mehr unverbunden nebeneinander stehen zu lassen, sondern durch kurze Wege miteinander zu verbinden. Wie die Redaktionen sollte auch die Marketingabteilung nach Sachgebieten organisiert werden.

Die Mauer zwischen Redaktion und Marketing

Die Kritiker des neuen Konzepts „betrachten die Marketingabteilung als eine Insel für sich“, schrieb dazu Ideas Magazine der Zeitungsverleger, „als hätte die Redaktion mit dem Leserschwund bei Tageszeitungen und den Problemen des Anzeigenverkaufs nichts zu tun“. Willes wollte z. B. bestimmte Teile der Zeitung für spezielle Leser- und Interessengruppen wie Sportfans, Golfspieler, angehende Unternehmer entwickeln und das Konzept jeweils gleich an Anzeigenkunden vermarkten.

Die New York Times stimmte zwar im Oktober 1997 in den Aufschrei über den Niedergang redaktioneller Unabhängigkeit ein, verfährt in ihrer jeden Donnerstag erscheinenden Computerbeilage aber nicht anders, die natürlich besonders auf die Anzeigenkunden der Computerindustrie schielt – die selbstverständlich keinerlei Einfluss auf den redaktionellen Teil haben. Willes plante Sonderprodukte wie die Zusammenfassung guter Sportartikel zu einer Beilage, die zu Spielbeginn verteilt werden könnte. Jede neue „Produktidee“ sollte auf kürzestem Weg mit der Marketingabteilung abgestimmt werden können, statt erst die redaktionelle und dann die verlegerische Hierarchie durchlaufen zu müssen.

„Redaktionelle Unabhängigkeit wird nicht durch die Mauer zwischen Redaktion und Marketing garantiert“, so Willes zu Ideas, „sondern durch das Rückgrat der Redaktion.“ Um dessen Steifheit bangen nach dem letzten Vorfall nicht mehr nur die Redakteure der LA Times.