■ Der französische Superminister Dominique Strauss-Kahn ist zurückgetreten, weil er im Verdacht steht, als Anwalt ein „Scheinhonorar“ kassiert zu haben. An ein vorzeitiges Ende der politischen Karriere des Sozialisten glaubt jedoch kaum jemand  Aus Paris Dorothea Hahn
: Die gerettete Ehre des Strauss-Kahn

Der Superminister hat allen den Wind aus den Segeln genommen: Gestern Mittag, 881 Tage nach Beginn seiner Amtszeit als französischer Minister für Wirtschaft und Finanzen und eine Woche nachdem durchsickerte, dass er möglicherweise in eine dubiose Finanzaffäre verwickelt ist, trat der Sozialist Dominique Strauss-Kahn zurück. Zu seinem Nachfolger wurde noch am selben Nachmittag der bisherige Staatssekretär für Haushaltsfragen, Christian Sautter, berufen. „Ich gehe nicht, weil ich mich schuldig fühle“, sagte Strauss-Kahn in demselben selbstbewussten Ton, mit dem er zuletzt die wirtschaftspolitischen Erfolge der rot-rosa-grünen Regierung vorstellte, „sondern um mich besser zu verteidigen.“

Kaum hatte „DSK“, wie er bei Freund und Feind heißt, gesprochen, ging ein Aufstöhnen durch Paris. Je nach Standort der Stöhnenden geschah es aus Bewunderung, Erleichterung oder Ärger. Denn der Rücktritt räumt dem Regierungschef Lionel Jospin, der stets als „sauberer Politiker“ auftritt und für den die beginnende DSK-Affäre ein Stolperstein zu werden drohte, den Weg frei. Strauss-Kahn sagte es selbst: „Es ist unvorstellbar, dass ein Minister weitermacht, auf dem ein schwerer Verdacht lastet. Es wäre ein Risiko für die gesamte Regierung.“

Der Feldzug, den die konservative Opposition gegen die Regierung unter dem Damoklesschwert der Justiz starten wollte, musste abgebrochen werden, noch bevor er begann. Die Parteigänger der rot-rosa-grünen Regierung, die in den Vortagen immer zahlreicher (wenngleich hinter vorgehaltener Hand) einen Rücktritt verlangt hatten, lobten den Schritt als „respektabel“. Der Sprecher der kommunistischen Fraktion sagte: „Das ist besser, als ihn den Hunden zum Fraß vorzuwerfen.“

Der „schwere Verdacht“ gegen Strauss-Kahn stammt aus Ermittlungen über die Geschäfte der studentischen Versicherung Mnef. Vor seinem Amtsantritt als Minister soll Strauss-Kahn als Rechtsberater der Mnef 603.000 Franc (etwa 180.000 Mark) kassiert haben. Das ist nicht anrüchig. Zumal die Pariser Anwaltskammer feststellte, dass sich der Stundenlohn von Strauss-Kahn eher im unteren Bereich der Branche bewege. Doch die Untersuchungsrichter hegen den Verdacht, dass Strauss-Kahn gar nicht anwaltlich tätig geworden sei, sondern lediglich einen 20 Millionen Franc schweren Kapitalseinstieg (der heutigen Vivendi) in die marode studentische Versicherung Mnef eingefädelt habe. Wegen des Verdachts auf ein „Scheinhonorar“ und erschwert durch den Verdacht zurückdatierter Honorardokumente könnte es in den nächsten Tagen zu Ermittlungen gegen Strauss-Kahn kommen.

Für den Umgang mit Ministern, gegen die ermittelt wird, gibt es in Paris eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt mit dem sozialistischen Premierminister Bérégovoy, der seinen Minister Tapie entließ, als dieser ins Visier der Justiz geriet. Einer seiner Nachfolger, der Neogaullist Balladur, machte dieses Verhalten zur Regel, der drei seiner Minister zum Opfer fielen: Unabhängig von der Unschuldsvermutung – so Balladur – müsse jeder Minister, gegen den ermittelt werde, zurücktreten.

Jospin hatte seine eigenen Minister im Juni 1997 so sorgfältig ausgewählt, dass er glaubte, keine Ermittlungsregel aufstellen zu müssen. Seinen engen Vertrauten Strauss-Kahn hielt Jospin bis zuletzt für „ministrabel“. Mehr noch: Jospin widersprach nie, wenn der Name Strauss-Kahn für spätere, „höhere“ Aufgaben im Staatswesen Frankreichs genannt wurde. Und solche Erwähnungen waren nicht selten. Unter anderem wurde Strauss-Kahn als potenzieller sozialistischer Bürgermeisterkandidat für Paris gehandelt. Sein Name fiel auch als möglicher späterer Premierminister – immer vorausgesetzt, Jospin schaffte 2002 den Aufstieg in den Elysée-Palast.

Strauss-Kahn selbst verhielt sich zu jedem Zeitpunkt loyal zu seinem Premierminister. Im Wahlkampf hat er gesagt: „Wenn ich eines Tages eine erste Rolle spielen sollte, werde ich das tun. Im Augenblick geht es mir darum, Jospin zum Sieg zu verhelfen.“ Als Finanz- und Wirtschaftsminister der rot-rosa-grünen Regierung setzte der Rechtsanwalt und Wirtschaftsprofessor Strauss-Kahn sein ganzes Gewicht und seine engen Beziehungen zu Finanz- und Wirtschaftskapitänen dazu ein, eine gute Bilanz hinzukriegen. Selbstbewusst sagte der Superminister noch kürzlich: „Die Linke ist an der Macht, und die Staatskassen füllen sich.“

Auch vor der Ankündigung seines Rücktritts holte sich Strauss-Kahn das Plazet von seinem Chef. Er brach eine Vietnam-Reise ab und bot „Lionel“ bei mehreren Treffen seinen Rücktritt an. Möglicherweise, so rumorte es gestern Nachmittag durch das halb offizielle Paris, will der Premierminister nun einen Teil des Superministeriums von „DSK“ in sein eigenes Amt eingliedern. Vorübergehend, versteht sich – denn in Paris mag niemand so recht daran glauben, dass Strauss-Kahn bereits am Ende seiner politischen Karriere steht. Seine Leistungen als Wirtschafts- und Finanzminister unterzog ohnehin niemand einer Kritik.