Dolmetscher erklären oder verschweigen“

■ bersetzer beeinflussen Verfahren durch ihre Loyalitätsprobleme, sagt Jacqueline Parada, die über die „Kommunikationssituation vor Gericht mit Einsatz von Dolmetschern“ promoviert

taz: Die Abhörprotokolle sollten die Schuld von Safwan Eid beweisen. Der Genauigkeit der Übersetzung kam eine große Bedeutung zu. Im Zweifel hätte sie ihn ins Gefängnis bringen können. Wie kann ein und derselbe Satz mit „Ich habe alle zum Schweigen gebracht“ und dann mit „Ich habe alle beruhigt“ übersetzt werden?

Jacqueline Parada: Ohne Zweifel war die Tonqualität so miserabel, dass das Hören erschwert wurde. Das war eine Grundschwierigkeit der gesamten Abhöraktion. Abgesehen davon handelte es sich um einen mehrdeutigen Satz: Beide Übersetzungen sind möglich. In vielen Sprachen übrigens keine Seltenheit.

Warum beharrte dann einer der Übersetzer auf der belastenden Variante?

Die wahre Motivation kann man nur versuchen zu erklären: Eine Möglichkeit ist, dass Herr Yachoua (der umstrittene Übersetzer, d. Red.) sich unbewusst mit einem der Prozessbeteiligten identifiziert, beispielsweise mit den ermittelnden Polizeibeamten. Diese Identifikation kann dann zu Parteiergreifung führen, sodass er sich für die belastende Variante entscheidet.

Wo bleibt da die Neutralität?

Ich unterstelle Herrn Yachoua keine bewusst falsche Übertragung. Aber Tatsache ist, dass sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft und Gericht die Arbeitgeber der Dolmetscher sind. Der erbringt eine Dienstleistung, eine darüber hinausgehende Loyalität besteht nicht. Es kann jedoch sein, dass dem Dolmetscher diese Loyalität nahe gelegt wird oder er sie sich selbst abverlangt – beispielsweise indem er die Rolle des Vernehmungsbeamten übernimmt. Geht dieses Verhalten einher mit der Angst, andernfalls nicht wieder bestellt zu werden, dann besteht große Gefahr zur tendenziösen Übersetzung.

Was fordern Sie?

Erstens muss eine einheitliche Regelung auf Bundesebene für die Bestellung und Vereidigung von Gerichtsdolmetschern her. Derzeit reicht das Spektrum – je nach Bundesland – von promovierten Sprachwissenschaftlern bis zu Absolventen von sommerlichen Fremdsprachenakademien. Herr Yachoua beispielsweise ist gelernter Elektrotechniker. Die wenigsten Bundesländer machen sich überhaupt noch die Mühe, die Übersetzerfertigkeiten zu prüfen. Bei seltenen afrikanischen Sprachen reicht als Qualifikation die Vermutung, dass die Person aus derselben Region stammt, um ad hoc vereidigt zu werden.

Für Konferenzdolmetscher gibt es sehr strenge Ausbildungswege. Warum nicht auch für Gerichtsdolmetscher?

Offenbar wird bei internationalen Konferenzen oder in der Wirtschaft mehr Wert auf Qualität gelegt als bei Menschenrechten. Man kann dieses Defizit nicht allein den Juristen vorwerfen. Es muss eine spezielle Ausbildung für Gerichtsdolmetscher her, an der Sprachwissenschaftler und Juristen beteiligt werden. Dabei müssen interkulturelle Unterschiede berücksichtigt werden.

Was heißt das?

Nehmen wir den Fall Safwan Eid. Auf den Tonbändern ist immer wieder zu hören: „Gott, verzeih mir.“ Wer nicht weiß, dass dieser Satz für einen bekennenden Moslem ein tägliches religiöses Ritual ist, kann ihn als Indiz dafür werten, dass hier um die Vergebung einer konkreten Tat gebeten wird.

Ist ein Dolmetscher verpflichtet, auf diese Missverständnisse hinzuweisen?

Eine gesetzliche Grundlage dafür existiert nicht. Der Dolmetscher kann entweder erklären oder verschweigen. Beides hat Folgen. Erklärt er, riskiert er, das Gericht als Wichtigtuer zu irritieren. Verschweigt er, riskiert er Missverständnisse, deren Ursachen unerkannt bleiben. So haben Safwan Eid und andere Hausbewohner ausgesagt, Flammen im ersten Stock gesehen zu haben. Weist der Dolmetscher nicht darauf hin, dass der erste Stock in vielen Ländern gleichbedeutend mit Erdgeschoss ist, kann das schwerwiegende Folgen für die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen haben. Im konkreten Fall unterstützte dies ungewollt die These der Brandsachverständigen, das Feuer sei im ersten Stock ausgebrochen – nach deutscher Etagendefinition.

Interview: Heike Haarhoff