■ Kommentar
: Eine politische Lektion  Frankreichs Wirtschaftsminister tritt ehrenhaft zurück

Acht Monate sind vergangen, seit in Bonn der Wirtschafts- und Finanzminister zurückgetreten ist: Oskar Lafontaine war der frankophilste Vertreter seiner Regierung. Jetzt ist ihm sein Kollege in Paris gefolgt. Und als wollte er Lafontaine auf der anderen Rheinseite zuzwinkern, hat Dominique Strauss-Kahn in Paris gestern gesagt: „Ich werde mich für die Werte der Linken schlagen.“ Ein Déjà-vu? Die französische Neuauflage eines deutschen Ereignisses, ja ein neuerliches Scheitern von sozialdemokratischer Politik?

Die Antwort ist ausnahmsweise einfach. Sie lautet: Nein. Strauss-Kahn ist nicht mit seiner Politik gescheitert. Im Gegenteil: In Paris werden seine wirtschaftspolitischen Leistungen über die politischen Grenzen hinweg gelobt. Selbst wenn politische Feinde geltend machen, dass das Wirtschaftswachstum und das Sinken der Arbeitslosigkeit nicht Strauss-Kahn, sondern der Weltkonjunktur zu verdanken seien. Ob mit oder ohne Strauss-Kahn, die Wirtschaftspolitik der rot-rosa-grünen Regierung wird sich nicht ändern. Auch persönlich verlief der Abgang von Paris ganz anders als jener von Bonn. Statt alle Beteiligten brüskiert zurückzulassen, beriet sich Strauss-Kahn bis zuletzt mit seinem Premierminister. Er hinterließ das Gefühl, da habe einer das einzig Richtige getan.

Tatsächlich hat Strauss-Kahn dem französischen Premierminister mit seinem schnellen und plausibel erklärten Rücktritt einen großen Gefallen getan. Denn der Wirtschaftsminister ist im Zuge von juristischen Ermittlungen in einen bösen Verdacht geraten. Er hat entschieden, sich zurückzuziehen, um sich selbst zu verteidigen und zu verhindern, dass die Regierung insgesamt in Verdacht gerät.

Damit hat Strauss-Kahn unabhängig vom Ausgang der Justizermittlungen sämtlichen Akteuren auf der politischen Bühne Frankreichs eine Lektion in Sachen Honneur erteilt – allen voran den Konservativen, die sich nun vergeblich bemühen werden, die Affäre politisch auszuschlachten. Dabei hat gerade einer der ihren, der neogaullistische Bürgermeister von Paris, Jean Tiberi, mit einer Vielzahl von Affären zu kämpfen und bleibt dennoch im Amt. Glaubwürdig wirkt das nicht. Der klare Gewinner des Strauss-Kahn-Rücktritts heißt Jospin. Und mit ihm siegt die rot-rosa-grüne Regierung in Paris. Dorothea Hahn

Tagesthema Seite 3