Gemeinsame Sackgassen

Michael Bandt und Matthias von Hartz verwandeln auf Kampnagel mit lost&found das Theater in ein Suchbüro  ■ Von Ralf Poerschke

Die beiden Hamburger Diplomregisseure sind dafür bekannt – und mitunter berüchtigt –, die Bedingungen des Theaters immer wieder zu hinterfragen. So schickte Michael Bandt seinen Macbeth auf eine Bilderhatz im Millerntor-Hochhaus, Matthias von Hartz gestaltete Irvine Welshs Headstate zur Party aus. Die taz sprach mit ihnen über ihr neues Kampnagel-Projekt lost&found – Ein Suchbüro nach einer Idee von Alexander Gerner: eine Abendunterhaltung zwischen Sinn- und Schatzsuche.

taz:Bei eurem letzten gemeinsamen Projekt, dem Käthchen von Hinten im TiK, habt ihr euch im Vorfeld sehr bedeckt gehalten, weil sonst der Witz weg gewesen wäre. Ist es jetzt ähnlich?

Michael Bandt: Ja, besser wäre es, Informationen zurückzuhalten.

Matthias von Hartz: Aber selbst wenn jemand, der da gewesen ist, davon erzählt, weiß man noch nicht, was passiert, wenn man selber hingeht. Der Abend hängt sehr stark vom Publikum ab, und jeder wird anders sein.

Wie ist denn die Grundsituation?

von Hartz: Die Situation ist ein Suchbüro – mit Menschen, die da-rin arbeiten, und das stellen wir dem Publikum zur Verfügung. Wir kreieren eine Welt, in der bestimmte Regeln gelten und in der es bestimmte Möglichkeiten gibt, die sich relativ stark unterscheiden von dem Vorgang: Ich gehe ins Theater, setze mich auf meinen Stuhl, etwas passiert, und ich gehe wieder.

Welchen theoretischen Hintergrund hat der Abend?

von Hartz: Unsere Arbeit in den letzten Jahren hat sich immer um die Fragen gedreht: Wer ist der Zuschauer im Theater, wer ist der Schauspieler, welche Form von gemeinsamer Realität gibt es hier, und wie wird die transparent gemacht?

Welche Rolle spielt das Suchen?

von Hartz: Ganz platt gesagt geht es darum, wieviel Zeit seines Lebens oder eines Tages man suchend verbringt. Wie zielgerichtet ist Suche, und mit wieviel zielgerichteter Suche kann man heute noch etwas schaffen?

Findet der Zuschauer denn auch etwas an diesem Abend?

Bandt: Es geht uns mehr ums Suchen als ums Finden. Man bricht auf mit einer gewissen Unruhe, bewegt sich auf eine Form von Entscheidung zu und zweigt kurz vor dem Finden noch einmal ab.

von Hartz: Und es geht weniger darum, was wir suchen als vielmehr wie wir etwas suchen. Wir wollen unterschiedliche Wege beleuchten und auch Sackgassen gemeinsam gehen.

Bandt: Wir bieten unser Setting als Service für ein Auswahltraining.

von Hartz: Und das Publikum findet vielleicht etwas, was es gar nicht gesucht hat. Aber wir versprechen nichts, wir machen nur Angebote.

Was bedeutet das alles für die Schauspieler?

Bandt: Sie sind wesentlich stärker involviert und tragen viel mehr Verantwortung. Entscheidend ist ihre Reaktionsfähigkeit.

van Hartz: Das Ganze ist für die Schauspieler wahnsinnig schwierig, weil es kaum Sachen gibt, die sie sich vornehmen und durchziehen können. Vorher können wir nur bestimmte Verhaltensweisen trainieren. Der Kontakt zum Publikum ist ungleich direkter, als sie das normalerweise gewohnt sind.

Bandt: Hinzu kommt, dass sie autobiografisches Material benutzen und dadurch mehr persönliche Angriffsfläche bieten.

Für viele Menschen hat Publikumsbeteiligung im Theater etwas Peinliches. Was sagt ihr denen?

Bandt: Denen geben wir erst mal Recht, und da holen wir sie dann ab.

von Hartz: Es geht uns ja genauso.

Bandt: Wir finden das auch blöd.

von Hartz: Und nachdem wir das blöd gefunden haben, geht es schon um etwas anderes, nämlich eben nicht um Publikumsbeteiligung und schon gar nicht ums Mitspielen. Niemand wird exponiert, muss irgendwo draufsteigen, laut Texte lesen, singen, tanzen. Aber es gibt Möglichkeiten, gewisse Dinge zu tun, und zwar in einem Rahmen, den man selber festlegen kann.

Viele Kollegen in eurem Alter gehen jetzt an die Stadttheater und inszenieren „richtige“ Stücke. Ihr dagegen...

von Hartz: Also, ich mache als nächstes in Leipzig fast ein richtiges Stück (lacht). Aber wir verstehen, glaube ich, im Moment beide, wa-rum junge Regiesseure richtige Stücke inszenieren: weil so etwas wie lost & found unglaublich anstrengend ist. Es gibt ein Setting, ein Thema, und der Rest ist ein Prozess, den man nur mit bestimmten Leuten und unter bestimmten Arbeitsbedingungen schafft. Trotzdem bin gerade zuversichtlich, dass es einfacher wird, unkonventionelle Projekte auch an Stadttheatern zu machen.

Premiere: Mi, 10. November, 20 Uhr, Kampnagel