Parolenzauber

■ Türkisches Heldenmärchen: Reis Celiks Film „Goodbye tomorrow – Hoscakal Yarin“

Die Sechzigerjahre gelten im Rückblick als die liberalste Ära der Türkei. Die Verfassung von 1961 garantierte so viele Freiheiten wie nach ihr keine andere, und an den Universitäten, in den Medien und Gewerkschaften herrschte eine Atmosphäre des Aufbruchs, aber auch eine der politischen Polarisierung, im Parlament wie auf der Straße. Zu viel Aufbruch jedenfalls für die Generäle, die am 12. März 1971 die Macht übernahmen und einen strikt antikommunistischen Kurs fuhren.

Eine der vielen Splittergruppen, die damals mit Entführungen und Attentaten auf sich aufmerksam machten, war die „Volksbefreiungsarmee der Türkei“ – so etwas wie die RAF, nur noch erfolgloser. Deren Köpfe Deniz Gezmis, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan wurden bei einer missglückten Aktion geschnappt, 1972 durch ein Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ihr Schicksal machte sie zu Symbolfiguren der türkischen Linken, der Name von Deniz Gezmis hat bis heute in der Türkei einen ähnlichen Beiklang wie der von Rudi Dutschke in Deutschland. Seinem Andenken ist nun ein Film mit dem englischen Titel „Goodbye tomorrow“ gewidmet. Wer allerdings den Hintergrund nicht kennt, dem helfen auch die deutschen Untertitel wenig, denn dem Regisseur Reis Celik gelingt es nicht, aus der Geschichte mehr als ein langatmiges Heldenmärchen zu stricken. Nichts spiegelt die Dramatik jener Tage, und die Darsteller geben auch nicht viel mehr als Sprechblasen von sich. Noch kurz bevor sich unter ihnen die Klappe öffnet, rufen sie ihre Parolen.

Doch Reis ging es nicht bloß um Märtyrerverklärung, sondern auch um historische Gerechtigkeit. In diesem Sinne wird der Fall in aller Breite noch einmal auf der Leinwand aufgerollt und werden die lauteren und letztlich patriotischen Absichten der Angeklagten dargelegt. „Goodbye tomorrow“ aber tut der Sache keinen Gefallen. Handwerklich ist der Film so unbeholfen, dass er an keiner Filmhochschule als Abschlussarbeit durchgehen dürfte. Und inhaltlich so spannungsarm, dass man sich nach der Hinrichtung der Hauptdarsteller eher erlöst als bedrückt fühlt. Daniel Bax
‚/B‘Täglich 19.45 und 22 Uhr im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 5