Hau den Yuppie!

■ Keine Musikmanagertypen: Auch 99 setzt das Berliner JazzFest auf Bodenständigkeit. Bedauerlicherweise für alle ist der No-Hype-Faktor zugleich der Null-Vibe-Faktor

Albert Mangelsdorffs Telefonnummer steht hoch im Kurs in deutschen Jazzmusikerkreisen. Für viele dürfte sie sogar zur Lieblingsnummer geworden sein, seit er vor fünf Jahren die künstlerische Leitung des Berliner Festivals zugesprochen bekam – und das Programm mit guten alten Freunden bestückt. Das hat nicht nur schlechte Seiten in diesen Zeiten heftigst herbeigeredeter Hauptstädtischkeit. Bei dem mit knapp einer Million Mark höchstbudgetierten deutschen Jazzfestival bleibt man im wahrsten Sinne des Wortes bodenständig. Weltoffen ist das nicht gerade. Sonny Rollins galt jedenfalls schon vor Einführung der Ausländersteuer als viel zu teuer für Berlin.

Mangelsdorff ist einer, der früh gelernt hat, sich zu bescheiden. Der profilierte und x-mal ausgezeichnete Jazz-Posaunist hat den Großteil seines Musikerlebens bei kleinen Labels und auf noch kleineren Bühnen zugebracht – SPD-Kulturfeste mit seinem Freund Oskar inbegriffen. Auf diesem langen Weg wurde er einer der bekanntesten deutschen Jazzmusiker. Auch hier die unvermeidliche Kehrseite: Seine späte Quereinsteigerkarriere als Festivalmacher zeichnet sich durch zu wenig dramaturgische Kompetenz, Humor und empirisch belegbare Neugier aus. Im Unterschied zum Hype um Berlin-Mitte symbolisiert der Frankfurter Albert den Anti-Yuppie-Frust in Tiergarten, wo das Festival von heute bis Sonntagabend im Haus der Kulturen der Welt stattfindet.

Mangelsdorff meint es gut. Er ist ein freundlicher Mensch, der amerikanische Musik-Managertypen nicht besonders mag – jedenfalls meidet er den Verkehr. So kommt es, dass mit Herbie Hancock nur noch ein einziger aktueller amerikanischer Jazz-Star das Festival-Line-up ziert. Der Saxophonist Benny Wallace hatte seine große Zeit vor zwanzig Jahren, und die Sängerin Melissa Walker hört sich nicht so an, als stünde ihr je eine bevor. Die Vermutung liegt nahe, dass hier ein fittes Management mit der richtigen Telefonnummer und Dumpingpreisen was gelandet hat. Man kann aber auch auf den Gedanken kommen, dass beim JazzFest zugleich etwas am Publikum vorbei operiert wird, weil dieses für den deutschen und europäischen Jazz sowieso nie recht zu haben war. Vielleicht ist Strafe das falsche Wort, sollte man hier eher von der heimlichen Genugtuung des Albert Mangelsdorff sprechen.

Das Projekt Mangelsdorff demonstriert euro-deutsch-zentrierte Lokalität und eine Solidarität, die auf miteinander geteiltem Raum und verwandten Schicksalen gründet. Das kennzeichnet den europäischen Jazz im Allgemeinen, besonders aber den deutschen. Beim Berliner JazzFest wird eine bedrohte Spezies teils zum ersten, möglicherweise auch zum letzten Mal auf großer Bühne ausgestellt.

Unvermeidlicherweise wird dabei aber eben auch vorgeführt, wie traurig die Welt klingt, wenn man dem selbst gebauten Anti-Hype zu sehr traut, in diesem Fall dem Gerede von der „kreativen Eigenständigkeit“ nationaler und lokaler Szenen. Hier wäre anzusiedeln das Klaus König Orchestra, das mit viel deutschsprachiger Prominenz lockt, aber ausdrücklich damit droht, die Stilistik des Jazz verlassen, um dann durch „Rock-, Punk-, Country- und Bluesmusik“ streifen zu wollen. Wer vor zehn Jahren bereits die Premiere dieser Art Schreibtischmusik durchgehalten hat, wird sich nach einer Neuauflage kaum gesehnt haben. Aber – und auch das gehört ganz besonders zum deutschen Jazz: Was sich auf dem Papier gut liest, kann gebucht werden.

Der Null-Vibe-Faktor des deutschen Jazz: Hauptsache, es ist ernst gemeint. Dass ausgerechnet der Berlin-Hype dann doch noch mit dem zur Zeit wichtigsten Trio der Szene, Der Rote Bereich, bedient wird, ist hier und heute die Ausnahme. Der Rote Bereich macht intelligente Musik für kleine Räume, die Rhythmuskapelle der Jazz Passengers um den Vibraphonisten Bill Ware hingegen spart auf ihrer gerade veröffentlichten CD noch an Witz und Charme.

Lee Konitz und Martial Solal machen bereits seit über vierzig Jahren Plattenaufnahmen, und Peter Brötzmann zählt auch zu den Leuten, die man nicht mehr vorstellen muss. Er tritt zwar ebenfalls beim parallel stattfindenden Total Music Meeting im Podewil auf, sein Chicago Tentet beim JazzFest wird unter echten Brötzmann-Fans jedoch als der wirklich harte Event gedealt, und dennoch schleppt sich der Kartenverkauf für den späten Freitagabend noch.

Das JazzFest-Programm 99 ebnet einem Trend zur Verweigerung den Weg, der jegliche Erwartungen an ein Hauptstadtfestival mit einem hohlen Lächeln abwimmelt. Man will vom Eventdesignrausch nichts wissen und verzichtet lieber auf Quote und Big Names. Das JazzFest-Projekt Mangelsdorff setzt mit ungekünstelter Steife auf den Musiker-respektiert-Musiker-Code. Auch wenn es nicht immer glücken sollte, den großen Könnern, die hier versammelt sein werden, ein Publikum zu beschaffen.

Christian Broecking